/Carl Jakob Haupt: Schönheit ist ein Witz

Carl Jakob Haupt: Schönheit ist ein Witz

Seine letzte Party – im Nachhinein klingt das wie eine abstruse Pointe auf dieses an irren Partys und verrückten Begegnungen so reiche Leben – war ein Abendessen auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz im Februar, an dem unter anderem zwei Bundesminister teilnahmen, der US-Vizepräsident Mike Pence und die Präsidententochter Ivanka Trump. Carl Jakob Haupt berichtete gewohnt pointiert, dieses Mal nicht in seinem Blog, sondern in einer privaten SMS: “Herrlich kaputte Leute”. Und sprach ein Orakel – ganz Dandy, der die Scheußlichkeit und die Schrecken der Welt überwindet, indem er sich über sie amüsiert: “Gebt acht auf diese Frau. Das wird die erste US-Präsidentin, acht Jahre nach Trump.” 

In der Nachtleben-Hauptstadt Berlin hatte Carl Jakob Haupt über die letzten Jahre einen Donnerruf als Modeblogger und als Impresario sensationeller Partys. Beide Jobs, den Fashion-Blogger und den Partykönig, konnte Haupt nie ganz ernst nehmen, sonst hätte er sie nicht so grandios neuartig und oft wunderbar ironisch interpretiert. 1984 in ein protestantischen Pfarrer-Elternhaus geboren, in Kassel aufgewachsen, studierte Haupt Politikwissenschaft, gründete 2009 mit seinem Schulfreund David Kurt Karl Roth den Männermode-Blog Dandy Diary. “Mode ist vollkommen uninteressant”, bekannte Haupt einmal. Die Blogs von Dandy Diary, in denen Haupt und Roth dadaistische Aktionen starteten, die großen Marken von Adidas bis Balenciaga verspotteten und sich mit den Modehäusern von Paris und Mailand anlegten (anstatt wie sonst in der Branche üblich kleine Gefälligkeitstexte zu schreiben), gingen weit über Schönheit und Konsum hinaus – sie waren Konzeptjournalismus, Gesellschaftskritik, politische Aktionen in bester Agitprop-Manier: Zuletzt veröffentlichte Dandy Diary einen Berliner Stadtplan für Touristen, in dem Wirkungsstätten der libanesischen Großfamilien wie die Lieblings-Shisha-Bar und die Lieblings-Autovermietung von Arafat Abou-Chaker in Wilmersdorf und Neukölln verzeichnet sind (“Clan Map for Sightseeing”): eine Aktion, die auch das Berliner Abgeordnetenhaus beschäftigte. Unvergessen ist das Video Christmas Time aus dem Jahr 2012, in dem die beiden Jungs von Dandy Diary den Stil einer 90er-Jahre-Boy-Group à la Backstreet Boys und so ihren eigenen Nachtleben-Ruhm persiflierten. Selten war Pop in Deutschland so camp.

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

Die Liebe meines Lebens, die für immer meine Liebe bleiben wird, mein Herz ist von uns gegangen. Mein Ehemann Carl Jakob Haupt ist Karfreitag in meinen Armen friedlich eingeschlafen. Er hat sich so verabschiedet, wie er es sich gewünscht hat. Nach Wochen des Kampfes gegen den Krebs. Er war in diesem letzten Moment ganz bei mir, bei unserer Liebe. Die Zeit, die wir beide miteinander hatten, war so intensiv, dass Worte sie nicht beschreiben können. Wir haben jeden Tag so miteinander gelebt, als wäre es unser letzter. Wir haben ein Leben geführt, das so von uns geprägt war, dass alles andere egal war. Wir haben bedingungslose Liebe erlebt. Auch wenn Jakob nur 34 Jahre alt geworden ist, hat er so viele Spuren hinterlassen, eine so tolle Familie gehabt, so viele großartige Freunde gefunden, dass er in uns allen weiterleben wird. Er war und ist unser Häuptling. Ich weiß, dass er so viele Menschen verzaubert hat mit seinem unbeschreiblichen Lächeln, seiner Energie und seiner Klugheit. Jakob hat sich trotz der Krankheit nie beklagt. Er hat das Schöne im Leben betrachtet, war furchtlos und hat immer alles in vollen Zügen genossen. Jakob hat sich von nichts und niemandem beeinflussen lassen, sich immer seine eigene Meinung gebildet und war für alle Menschen offen, egal welchen Hintergrund sie hatten. Jakob ist immer bei mir und bei uns. Er schaut jetzt von einem anderen Ort auf uns, wacht über mich und lächelt, weil er weiß, dass wir ihn nie vergessen werden. “Du bist das erste an das ich denke, wenn ich morgens aufwache – und das letzte, woran ich denke, wenn ich einschlafe. Und das, seit wir uns kennen. An jedem Tag. Und so wird es auch jetzt gewesen sein, wenn ich zum letzten Mal eingeschlafen bin.” (Jakob an mich, April 2019) Unsere Liebe bleibt. Jetzt ist spáter für immer.

Ein Beitrag geteilt von Giannina Haupt (@gia_escobar) am Apr 24, 2019 um 7:07 PDT

Abfahrt, Dekadenz, Hysterie – mit ihren Partys rissen Dandy Diary, was in Berlin keine ganz einfache Kunst ist, regelmäßig die Grenzen des guten Geschmacks ein (Live-Tätowierungen, betrunkene Kleinwüchsige, Feuerspucker und lebende Elefanten auf der Tanzfläche). Über die perfekte Nacht erklärte Haupt: “Party braucht keinen König, keine Hierarchie, keine Thronfolge, sondern das genaue Gegenteil: brutalstmögliche Anarchie.” Als sich abzeichnete, dass der Italo-Disco-DJ Gigi D’Agostino zu seinem Set nicht auftauchen würde, castete Haupt kurzentschlossen einen arabischen Friseur auf der Berliner Sonnenallee, rasierte ihm den typischen Gigi-Bart, setzte ihm die Gigi-Sonnenbrille auf und ließ ihn, gut versteckt hinter Bodyguards, als Double auftreten. Die Meute der Berliner Gossip-Blogger spielte mit und applaudierte begeistert. 

Zu verschiedenen Zeitpunkten konnte Haupt wie Sid Vicious aussehen, wie der sehr junge George Michael, wie ein norditalienischer Landadliger, dann wieder wie ein Saunaklub-Besitzer aus einer westdeutschen Kleinstadt. Bisschen billig, bisschen assi, bisschen zwielichtig zu wirken, das war Haupts Ding – das fand dieser “King of Cheap Chic” im Zweifelsfall adäquater, als sich ausgesucht, teuer und geschmackvoll zu kleiden. Weil Carl Jakob Haupt wusste, dass Schönheit eher ein Witz ist, verunstaltete er sich – mit schlechten Tätowierungen, mit abstrusen Punkfrisuren, mit abrasierten Schläfen, mit abgeblättertem weißen Nagellack an den Fingern. Manchmal, vor allem wenn seine wunderschöne Frau, das Model Gia Escobar, neben ihm stand, sah er fast ein wenig zu gut aus – glatt wirkte Haupt nie. Dafür lagen, ganz gleich, wie weit die Party vorangeschritten war, zu viel Humor und zu viel Herzensgüte in seinem Gesicht, dafür trug er zu viele Abgründe und zu viel Schmerz in sich. 

Haupt lebte, so kann man sagen, ein typisches Neuberliner Leben: viel Blah, viel Lalala, viel Party, viel Reisen mit Handgepäck. Er war bloß in all den Disziplinen des Hedonismus und des süßen Lebens genauer, schärfer, lustiger, brillanter und geistig beweglicher unterwegs als seine Kollegen. 

Er sehe sich als dezidiert politischen Menschen, hat Haupt im Interview mit der ZEIT einmal bekannt (“Wer sich in diesen Zeiten nicht politisch positioniert, der ist entweder ein Zyniker oder ein Idiot.”). Gleichzeitig müsse es eben möglich sein, über eine neue Jeans so intelligent und versiert wie über ein Kunstwerk zu schreiben. Er habe erst Modeblogger werden müssen, hat er zuletzt erklärt, um die starke protestantische Prägung seines Elternhauses zu überwinden. Für Carl Jakob Haupt waren Abfahrt, Rausch und Exzess der Weg in die Transzendenz. Hart feiern – wer sagt, dass in dieser Religion keine Würde und kein Trost liegen, der hat, Entschuldigung, einfach noch nicht hart genug gefeiert. 

Bei seinen Freunden zeichnete sich Carl Jakob Haupt durch ein perfektes Nähe-Distanz-Gefühl aus. Dieser Wizard des Smalltalks und der Kommunikation, er konnte einem – darf man das so sagen? – nicht auf den Sack gehen, dafür war er zu aufmerksam, zu sensibel, zu interessiert an seinem Gegenüber. Die Liebe, die er überall auslöste, sprach für ihn. 

Das Internet und die sozialen Netzwerke werden nun – so ist das in diesen brutal öffentlichen Zeiten – geflutet werden von Fotos und Handyfilm-Schnipseln, die Carl Jakob Haupt auf Tanzflächen und in Discotoiletten zeigen. Einen Distinktionsgewinn hat der, der belegen kann, wie nah er dem Partykönig war. Dieser Protagonist einer Kultur der Nicht-Intimität, in der es scheinbar keine Grenzen mehr gibt zwischen Privatheit und Öffentlichkeit – er wusste mit Instagram und den anderen sozialen Netzwerken, die er so hemmungslos bediente, umzugehen. Wer alles zeigt, zeigt gleichzeitig nichts von sich – er nährt den Verdacht und die Hoffnung, dass sich hinter den vielen Bildern noch ein anderes, eventuell sogar ein sinnvolles Leben versteckt. Legendär sind die Instagram-Fotos aus dem verwuschelten Bett des Ehepaars Haupt in dessen Berliner Wohnung: In den Fenstern hängen die Schilder “Bed Peace/ Hair Peace”, mit denen John und Yoko Ono Lennon 1968 für den Weltfrieden protestierten. Es war ein wenig furchtbar und genauso konsequent, dass die Fotos der Traumhochzeit von Gia und Jakob, die im September letzten Jahres auf einem Weingut nahe der sizilianischen Stadt Syrakus stattfand, überall im Internet und auf der Website einer deutschen Modezeitschrift erschienen. 

In einer kleinen Runde – einige Freunde hatten sich auf seiner berühmten Blogger-Couch in seiner Wohnung versammelt – ging es zuletzt auch um die Frage, welcher Song eigentlich alles auf den Punkt bringe. Haupt nannte die sehr geile, ein wenig verbotene, billig klingende Partyhymne “Hot in Herre” von Nelly; und die Ballade “Love me Forever” von Motörhead. Schön. Am Morgen des Karfreitags ist Carl Jakob Haupt in einer buddhistischen Klinik in Bad Saarow im Alter von 34 Jahren seiner Krebserkrankung erlegen. Seine Ehefrau und seine Freunde waren bei ihm.

Transparenzhinweis: Der Autor war Gast auf der Hochzeit Carl Jakob Haupts.

Hits: 13