/Anschläge in Sri Lanka: “Der IS tat sich bislang schwer, Muslime in der Region zu erreichen”

Anschläge in Sri Lanka: “Der IS tat sich bislang schwer, Muslime in der Region zu erreichen”

Seit den islamistischen Anschlägen auf Kirchen und Hotels am Ostersonntag kommt Sri Lanka nicht zur Ruhe. Die Zahl der Todesopfer ist auf 359 gestiegen, mehr als 60 Personen wurden festgenommen, weitere Sprengkörper entdeckt. Mittlerweile hat der “Islamische Staat” (IS) die Taten für sich reklamiert, die Täter stammten jedoch aus Sri Lanka. Im Gespräch mit ZEIT ONLINE erklärt der Asien-Experte Christian Wagner von der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP), warum die islamistischen Anschläge für die Region ungewöhnlich sind. Er befürchtet, dass sie das Land destabilisieren könnten.

ZEIT ONLINE: Herr
Wagner, der “Islamische Staat” hat sich zu den verheerenden Anschlägen
in Sri Lanka am Ostermontag bekannt. Wie sicher sind Sie, dass das stimmt? Oder schneidet der IS vielleicht nur auf?

Christian Wagner: Die
Attentäter waren mit Sicherheit vom IS inspiriert. Es ist müßig,
darüber zu spekulieren, inwieweit genau der “Islamische Staat”
dahintersteht – das werden die Untersuchungen der nächsten Wochen
zeigen.

ZEIT ONLINE: Die Art der Anschläge spricht aber für den “Islamischen Staat”?

Wagner: Es
ist der erste islamistische Anschlag in Sri Lanka – das ist eine
neue Dimension des Terrors. Im Bürgerkrieg zwischen
Tamilen und Singhalesen wurden nie Hotels angegriffen, nie waren
Touristen oder Christen das Ziel von Gewalt. Die christliche
Gemeinschaft in Sri Lanka umfasst tamilische und
singhalesische Gruppen und es gab nie Auseinandersetzungen zwischen
Christen und Muslimen. Das alles spricht sehr dafür, dass Sri Lanka
Schauplatz eines internationalen Terroranschlags wurde, der seine
Drahtzieher im Ausland hat.

ZEIT ONLINE: Wie
verbreitet ist islamistischer Terrorismus in Sri Lanka und Südasien?
Bislang fanden islamistische Anschläge eher in anderen Regionen der
Welt statt. Oder täuscht dieser Eindruck?

Wagner: Bislang
gab es in der Region sehr wenige Anschläge, die dem IS zugerechnet
werden – in Indien zum Beispiel nur ein oder zwei mit
vergleichsweise wenig Schaden. Dort sind in den vergangenen Jahren
nicht mehr als 200 Personen verhaftet worden, weil sie Sympathisanten
des IS sein sollen. Dabei leben in Indien über 150 Millionen
Muslime. Die Zahl der Kämpfer aus Europa, die sich in Syrien dem IS
angeschlossen haben, ist deutlich höher. Das zeigt, dass sich der IS
bislang sehr schwertat, die Muslime in der Region zu erreichen.

ZEIT ONLINE: Warum
ist das so?

Wagner: Der
Islam in Südasien wird sehr traditionell gelebt. Er ist mit lokalen
Traditionen verhaftet und durchdrungen von hinduistischen Gebräuchen.
Auseinandersetzungen finden in den muslimischen Gesellschaften
Afghanistans, Pakistans oder Bangladeschs eher innerhalb der
Communities statt. Dort greift der IS moderate Muslime an. Auffällig
ist außerdem, dass sich eher Menschen aus der Mittel- und
Oberschicht dem IS anschließen. Die wollen als gute Muslime gelten
und sehen in dieser radikalen Interpretation des Islam eine größere
Erfüllung ihrer eigenen Religion. Bei der Masse der Muslime, die in
der Region sozioökonomisch benachteiligt sind, findet die
Ideologie dagegen kaum Anklang.

ZEIT ONLINE: Als
Motiv für die verheerenden Anschläge vermutete die sri-lankische
Regierung bereits kurz nach den Attacken die Vergeltung für den Angriff
auf zwei Moscheen im März 2019 in Christchurch. Was halten Sie von
dieser Interpretation?

Wagner: Das
ist eine Erzählung, die man schon zuvor auf Sympathisantenseite
des IS finden konnte. Aber das überzeugt mich nicht wirklich. Die
Attentäter hätten Christchurch nicht gebraucht, um so einen Anschlag
durchzuführen. Die sri-lankische Regierung hat diese Verbindung
hergestellt, denke ich, um eine Verbindung zum “Islamischen Staat”
herstellen zu können. Christchurch war ein schnell zu greifendes
Motiv.

ZEIT ONLINE: Können
diese Anschläge Sri Lanka, die ganze Region, destabilisieren? Es gab
am Mittwoch weitere Bombenfunde, über 60 Personen wurden
mittlerweile festgenommen.

Wagner: Wir
werden vermutlich noch mehr Funde haben. Schon im Januar wurde ein
Waffenlager entdeckt, das man Anhängern des IS zugeschrieben hatte.
Instabil könnte Sri Lanka werden, weil zu befürchten ist, dass es
zu Vergeltungsaktionen von buddhistischen Nationalisten gegen Muslime
in Sri Lanka kommt. Das wird die nächste Phase der Dynamik sein und
das ist genauso vom “Islamischen Staat” beabsichtigt: Die Anschläge
sollen ja solche Reaktionen der Mehrheitsbevölkerung gegen Muslime
bewirken und damit zu einer Radikalisierung der lokalen muslimischen
Gemeinschaften beitragen. So kann der “Islamische Staat” neue Kämpfer
rekrutieren.

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