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Asylpolitik: Abdul macht kein Abi

Er ist
jetzt ganz in seinem Element: Ruhig steht er da; locker gegen die Tischkante
gelehnt, eine Hand in der Hosentasche, in der anderen ein Blatt Papier. “Farsi ist
eigentlich einfach”, sagt Abdul Fani*. “Zumindest die Aussprache. Schwer ist
nur die Schrift. Aber auch das kriegt ihr hin.”

Sechs
Zuhörer sitzen ihm an diesem Nachmittag im Internat gegenüber. Zwei Lehrer,
drei Mitschüler und seine Freundin Lena.
Sie alle sind hier, um bei ihm Farsi zu lernen.

Abdul Fani
ist 20 Jahre alt und besucht die zwölfte Klasse des Internats in Michelbach, einer
kleinen Gemeinde bei Schwäbisch Hall. Er spielt Fußball, zockt Xbox, hängt am
liebsten mit Kumpels oder seiner Freundin rum. Seine Noten sind nicht
überragend, würden aber reichen, um ihn ans Ziel zu bringen: Fani will das Abi
machen, studieren, Lehrer werden. Es ist sein Traum.

Doch
dieser Traum ist nun in weite Ferne gerückt. Denn Fanis Asylantrag wurde
abgelehnt. Um nicht nach Afghanistan abgeschoben zu werden, hat er eine schwierige
Entscheidung getroffen: Am Ende des Schuljahres wird er das Gymnasium
verlassen, stattdessen eine Ausbildung beginnen. Denn nur abgelehnte
Asylbewerber, die eine Lehrstelle vorweisen können, bekommen die sogenannte
Ausbildungsduldung.

Schüler und Studentinnen sind nicht geschützt

“3+2-Regel”
nennt sich die Vorschrift, die 2016 verabschiedet wurde. Sie sollte den
Unternehmen Sicherheit geben, dass die Flüchtlinge, die sie eingestellt hatten,
nicht gleich wieder gehen müssen. Organisationen wie Pro Asyl kritisieren die
Regel als zu bürokratisch; die Hürden, Schutz zu bekommen, seien zu hoch. Für Fani aber birgt sie ein ganz
anderes Problem: Sie gilt
nur für Auszubildende. Schüler und Studentinnen
schützt sie nicht. Und
so werden die kommenden Wochen für ihn wohl die letzten an seiner Schule sein.

Frühstück in der Mensa des
Internats, einem lichtdurchfluteten Neubau. Schüler quatschen wild
durcheinander, das Klappern von Messern, Gabeln und Löffeln hallt durch den
Raum. Es gibt Schwarzbrot und Laugenbrötchen, Schinken, Salami, Scheibenkäse.
Alles ist streng getaktet, in 25 Minuten müssen die Schüler fertig sein. Es ist
der erste Tag nach den Faschingsferien.

Fani
sitzt, umgeben von deutschen Schülern, an einem der Tische.

“Wie waren
deine Ferien?”, fragt er das Mädchen neben sich.

“Gut”,
sagt sie.

“Was hast
du gemacht?”

“Gelernt, was sonst?
Und Du?”

“Gelernt
und Freunde besucht”, sagt Fani.

Er trägt
Skinny Jeans und Sneakers, das Haar an den Seiten kurzgeschoren, den oberen
Teil zur Seite gekämmt. Er spricht überlegt und höflich.

Im Umgang
mit den anderen ist er freundlich. Klatscht ab, lächelt, macht Witze. Und doch
steht etwas zwischen ihnen und ihm. Einigen Schülern habe er erzählt, dass er
die Schule abbreche und eine Ausbildung beginne, sagt Fani. Nicht alle würden
die Gründe verstehen. Wirklich verstehen.

Asylpolitik: Der Blick aus Abduls Zimmer über Michelbach

Der Blick aus Abduls Zimmer über Michelbach
© Jacobia Dahm für ZEIT ONLINE

Fani sagt:
“Die Schüler hier denken: ‘Wann kaufe ich mir ein neues Handy?’
Ich denke: ‘Wann kommt der nächste Brief vom Amt? Und was steht da drin?'”
Zwei
Welten.

*Wir haben den Namen
zum Schutz des Protagonisten geändert. Der Name ist der Redaktion bekannt.

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