/Alnatura: Alles fair, bis auf die Mitbestimmung?

Alnatura: Alles fair, bis auf die Mitbestimmung?

Kai Wargalla weiß, was es heißt,
für das zu kämpfen, was ihr wichtig ist. Während eines Auslandssemesters in
London gründete sie den dortigen Ableger von Occupy, einer weltweiten
Protestbewegung gegen die Macht der Finanzindustrie. Sie lebte für ein Jahr in
einem Zelt in der Londoner City, direkt neben der Börse. Sie zog sogar gemeinsam mit einer Gruppe Journalisten und Intellektuellen gegen
Barack Obama
vor Gericht, weil ein umstrittenes Gesetz es der US-Regierung
erlaubt hätte, verdächtige Personen ohne Angabe von Gründen zu verhaften,
darunter womöglich auch Occupy-Aktivisten. Die Anwälte des damaligen
US-Präsidenten nahmen sie ins Kreuzverhör, und trotzdem gewann sie gegen alle
Erwartungen in der ersten Instanz. Ihr vielleicht zähster Kampf begann aber mit
einem Job an der Kasse im Bioladen.

Als Kai Wargalla im Jahr 2014
zurück nach Bremen kam, bewarb sie sich bei der Biosupermarktkette Alnatura.
Sie selbst ernährt sich vegan und wollte einen Job, der ihr sinnvoll erschien.
“Am wichtigsten”, schrieb sie in der Bewerbung, “ist es mir, hinter dem zu
stehen, was ich mache.”

Das Unternehmen als sozialer Organismus

Alnatura mit Hauptsitz in
Darmstadt hat 113 Läden bundesweit. Bei Alnatura, sagt der Gründer Götz Rehn,
gehe es um “Sinnmaximierung, nicht um Gewinnmaximierung”. Im März dieses Jahres
erst bekam Rehn den New Work Award des Karrierenetzwerks Xing – unter anderem
für “neue Formen der Zusammenarbeit”, die er in seinen Märkten etabliere. In
einem Interview am Rande der Ehrung
beschreibt er das Unternehmen als “sozialen
Organismus” und erklärt, warum er das Wort Führung nicht möge und Beschäftigte
für ihn “keine Objekte, sondern Subjekte” seien.
Es klingt wie ein Arbeitsplatz, an dem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
gehört werden.

Wie passt das zusammen mit dem, was in der Bremer Filiale passierte, als die Beschäftigten um Kai Wargalla
Mitsprache verlangten?

Es begann, als die Filialleiterin
gehen musste. Sie hatte abends hin und wieder alte Salatblätter für ihre Hühner
mit nach Hause genommen. So berichten es Wargalla und zwei weitere
Alnatura-Beschäftigte, mit denen ZEIT ONLINE sprach – sie beschreiben es wie
eine Bagatellkündigung
, mit der konventionelle Supermärkte in die Schlagzeilen
gerieten.
Alnatura weist auf
Anfrage darauf hin, dass es weitere Gründe für die Trennung von der
Filialleiterin gegeben hätte.  

“Ich hatte Angst, dass uns auch so etwas passieren könnte und wir die Nächsten sind, die rausgeworfen werden.”

Kai Wargalla, ehemalige Alnatura-Mitarbeiterin

Einige Mitarbeiterinnen jedenfalls, so berichtet es Wargalla, hätten sich daraufhin
unsicher gefühlt. “Ich hatte Angst, dass uns auch so etwas passieren könnte
und wir die Nächsten sind, die rausgeworfen werden”, erinnert sich Wargalla.

Gemeinsam mit einem Kollegen und
einer Kollegin tat sie, was viele
Arbeiternehmerinnen in einer solchen Situation tun: Sie suchten Rat bei der
Gewerkschaft – und wollten einen Betriebsrat gründen. Eine
Mitarbeitervertretung darf bei Arbeitszeiten mitreden und auch bei Kündigungen.
Das Gesetz sieht vor, dass es in Betrieben mit mindestens fünf Mitarbeitern
einen Betriebsrat geben kann. Die
Arbeit oder die Wahl eines Betriebsrates zu behindern ist in Deutschland sogar
eine Straftat – Firmenchefs droht dafür bis zu einem Jahr Haft. Rechtlich ist die
Situation eindeutig, und auch Alnatura sagt ZEIT ONLINE, dass das
Unternehmen das Betriebsverfassungsgesetz “selbstverständlich achtet”. Trotzdem
gibt es bis heute keinen Betriebsrat in Bremen, mehr als drei Jahre und
unzählige Anwaltsschreiben und Gerichtspapiere später.

“In diesem Zusammenhang haben wir den Arbeitgeber aufgefordert, jede Form von Gesprächen bezüglich der Betriebsratswahl mit Einzelnen und Gruppen von euch zu unterlassen.”

Aushang im Mitarbeiterraum in Bremen

Mitte Oktober 2015, nach dem
Termin mit der Gewerkschaft, hängen Kai Wargalla und ihre beiden Mitstreiter
ein Einladungsschreiben an die Tür und eines an die Pinnwand des
Mitarbeiterraums. Sie berufen eine Betriebsversammlung ein, auf der zunächst ein
Wahlvorstand bestimmt werden soll – ein erster Schritt, der für die Gründung
einer Mitarbeitervertretung vorgesehen ist. Der Wahlvorstand hat die Aufgabe,
die Wahl des Betriebsrates zu organisieren. “In diesem Zusammenhang”, schreiben
Wargalla und die anderen Initiatoren in dem Aushang, “haben wir den Arbeitgeber
aufgefordert, jede Form von Gesprächen bezüglich der Betriebsratswahl mit
Einzelnen und Gruppen von euch zu unterlassen.”

Zwei Tage nach der Einladung
bittet Alnatura die Beschäftigten zum Einzelgespräch; auch der Gebietsleiter Nord nimmt an den Gesprächen teil, er ist in der Unternehmenshierarchie die nächsthöhere
Instanz über der Filiale. Alnatura teilt ZEIT ONLINE mit,
Mitarbeitergespräche fänden regelmäßig statt; das Ziel sei nicht gewesen, die
Beschäftigten vor der Wahl zu beeinflussen. Ein Mitarbeiter erinnert sich
gegenüber ZEIT ONLINE anders: Einzelgespräche mit der gesamten Belegschaft habe es
in dieser Form seit der Eröffnung des Bremer Alnatura-Marktes nicht gegeben –
die Einladung habe er als ungewöhnlich wahrgenommen. “Ich habe mich total
überrumpelt gefühlt”, sagt er. Im Gespräch mit ihr, berichtet Wargalla, habe
Alnatura die Nachteile eines Betriebsrates genannt, Druck sei nicht ausgeübt worden.

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