/“Tatort” Bremen: Der Mann sollte ich sein

“Tatort” Bremen: Der Mann sollte ich sein

Plötzlich diese Übersicht. Wenn ein Tatort-Schauplatz seine letzte Episode erlebt, treibt es das Personal nicht selten hoch
oder weit hinaus. Olle Schimmi (Götz George) segelte 1991 in Der Fall
Schimanski
an einem
Drachen hängend der Büroarbeit davon (zu einem fiesen Dieter-Bohlen-Song, den
Bonnie Tyler sang), Stoever (Manfred Krug) und Brocki (Charles Brauer) fanden
sich als “Swinging Cops” auf einer Kreuzfahrt über den Atlantik
wieder.


Matthias Dell schreibt seit 2010 wöchentlich über "Tatort" und "Polizeiruf 110". Auf ZEIT ONLINE seit 2016 in der Kolumne "Der Obduktionsbericht".

Matthias Dell schreibt seit 2010 wöchentlich über “Tatort” und “Polizeiruf 110”. Auf ZEIT ONLINE seit 2016 in der Kolumne “Der Obduktionsbericht”.
© Daniel Seiffert

In Wo ist nur mein Schatz geblieben?
(RB-Redaktion: Annette Strelow, Degeto-Redaktion: Birgit Titze), der letzten
von 39 Inga-Lürsen-Folgen, gönnt man sich gleich am Anfang einen Tandemsprung.
Dass Lürsen (Sabine Postel) und Stedefreund (Oliver Mommsen) dabei Reinhard Meys Klassiker Über den Wolken anstimmen, wirkt im ersten Moment
etwas platt – definiert aber auch das Verhältnis zur Wehmut, die dem Ende doch
immer innewohnt (“Und
dann würde, was uns groß und wichtig erscheint/plötzlich nichtig und
klein”).

Schließlich geht in Bremen ein nicht unbedeutendes Kapitel
in der reichen Geschichte des Tatorts zu Ende, wie ein Blick auf die
Zahlen verdeutlicht. 22 Jahre lang war Kommissarin Inga Lürsen im Einsatz in deutschen Wohnzimmern – ein Zeitraum, der aktuell nur vom MDR-Team
Ehrlicher/Kain (1992–2007) sowie den noch aktiven Ermittlern in Ludwigshafen
(Odenthal, seit 1989), München (Batic/Leitmayr, seit 1991) und Köln
(Ballauf/Schenk, seit 1997) getoppt wird.

Sabine Postel war erst die vierte weibliche Hauptermittlerin
(nach Nicole Heesters, Karin Anselm und Ulrike Folkerts – Hannelore Elsners
“Kommissarin”-Gastspiel in der Tatort-Reihe
nicht
mitgerechnet),
was einem doch schön vor Augen führt, dass die Neunzigerjahre in Sachen
Gleichstellung nicht die fortschrittlichste Dekade waren. Oliver Mommsens
Assistent kam erst zur sechsten Folge im Jahr 2001 dazu, nachdem es schon drei
andere Besetzungen auf dieser Position gegeben hatte (Rufus Beck, Heikko Deutschmann, Heinrich Schmieder). Camilla Renschke als Lürsens Tochter Helen war
von Anfang an dabei.

Was die 22 Jahre Inga Lürsen über jüngere (west-)deutsche
Geschichte erzählen, müsste man noch einmal prüfen. Dafür spräche, dass die
Figur 1997 eingesetzt wurde mit einer dezidiert politischen Vergangenheit in den
friedensbewegten Anti-AKW-Jahren post 1968 – kurz bevor mit der rot-grünen
Bundesregierung unter Gerhard Schröder Politiker wie Jürgen Trittin und Joschka Fischer der schwelende konservative Backlash Frischluftzufuhr bekam.
Dagegen, dass der Tatort: Bremen selten mit aufregenden Folgen von sich reden gemacht hat.

Insofern ist Wo ist nur mein Schatz geblieben?
eine ziemlich adäquate Abschiedsvorstellung. Es existiert Potenzial (Drehbuch:
Florian Baxmeyer, Michael Comtesse), aber so richtig fetzt es nicht. Der Fall
läuft über Bande, weil die eigentlichen Bösewichte nicht die in Immobilien
machende Clan-Boss-Schwester Vera Berlov (Violetta Schurawlow) und ihr verdeckt
ermittelnder Mann Roger Stahl (Kostja Ullmann) sind, sondern die vorgesetzten
BKA-Nasen, die diese Operation leiten.

Diese beiden, Maller (der große Robert Hunger-Bühler) und
Kempf (der nicht minder große Philipp Hochmair), sind zwei schick
runtergerockte Figuren, epigonal, aber nicht langweilig, zwei Rollenbilder, die
so oft in der Hosentasche mitgewaschen wurden, dass man nicht mehr erkennen
kann, wie das Original aussah, das man sich aber doch gern anschaut (Regie: auch Florian Baxmeyer, der als eine Art Hausregisseur in Bremen mit seiner nun 17. Folge in
die Top 5 der Tatort-Regisseure vorstößt
).

Wie Maller schwitzt in der alten Bankfiliale, in der sie
einquartiert sind; wie Kempf jähzornig ist und drogensüchtig und vom Kollegen
durch immer neue Varianten der Kokseinfuhr geweckt werden muss aus
präkomatösen Zuständen. Und dann träumen beide vom sonnigen Lebensabend in
Acapulco, den ihnen dieser letzte Fall (und das daraus abgezweigte Geld)
finanzieren soll. Verwaschene Männerfantasien.

Stedefreund kriegt durch die korrupten Spezialermittler noch
eine Vorgeschichte angehängt, bei der er selbst verdeckt ermittelt hat und
schuldig geworden ist. Das erklärt, warum er vorsichtiger agiert, während
Lürsen sich ihren Gerechtigkeitssinn durch kryptische Ansagen von oben nicht
trüben lassen will. Und das motiviert das Opfer beim finalen Geballer, das
Stedefreund erbringt, wenn er sich in die Schüsse auf seine Kollegin wirft.

Der Film endet, wie er begonnen hat: mit einem Tandemsprung,
den anstelle von Stedefreund nun Linda Selb (Luise Wolfram) mit Lürsen absolviert,
eine Figur, die im Herbst des Bremer Schauplatzes neue Dynamik verbreiten
sollte. Verstreut wird die Asche des toten Kollegen, was trotz der zugigen Lage
erstaunlich elegant gelingt – es gibt ja auch Filme, in denen das nicht so
gut funktioniert
.

Und was bleibt von diesem Bremer Schauplatz? Inga Lürsen und
Stedefreund waren sehr lange da. Und das ist nicht das Schlechteste, was sich
über das sich nun schließende Tatort-Kapitel sagen lässt.

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