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Einwanderung: Sind Migranten auch Ossis?

Mamad Mohamad

“Ich bin 38 Jahre alt, wohne seit 24 Jahren in Deutschland – und wenn man mich fragt, woher ich komme, sage ich: aus Halle. Ich lebe gern hier. Auch, weil viele Ostdeutsche uns Migranten verstehen. Die Biografien ähneln sich. Ostdeutsche haben einen Umbruch mitgemacht – viele Migranten ebenfalls. Für beide Gruppen bedeuten Neuorientierungen nichts Ungewohntes. So kommt man schnell ins Gespräch.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass einige Ostdeutsche diese Ähnlichkeiten vorschieben, um uns zu diskriminieren. Sie sagen dann: ‘Was soll ich mich um Geflüchtete kümmern? Ich habe doch genauso viele Probleme.’ Das stimmt nicht. Erstens erleben wir Rassismus – es gibt Gegenden, in denen ich nicht allein mit der Straßenbahn fahren würde. Zweitens haben viele Leute schlicht nicht verinnerlicht, dass wir genauso wie sie Teil der ostdeutschen Gesellschaft sind.

Für uns ist noch ein anderes Thema wichtig: wie westdeutsche Migranten auf uns schauen. Sie behandeln uns oft von oben herab. Die meisten Migranten verlassen Ostdeutschland nach einigen Jahren. Wer bleibt, denken sie, hat es nicht geschafft. Das erzeugt enormen sozialen Druck. Es gibt also auch unter den Migranten Ossis und Wessis. Viele Migranten hier haben Verwandte im Westen, die ständig fragen: Was machst du noch dort? Das wird nicht besser dadurch, dass in den Medien so oft über Rassismus in Ostdeutschland berichtet wird. Bei allen Problemen, die es gibt – das ist zu einseitig.”

Mamad Mohamad, geboren 1980 in Syrien, leitet das Landesnetzwerk der Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt (Lamsa).
Protokoll: Valerie Schönian

Steffen Dobbert

“Natürlich sind Ossis auch Migranten. Alle Menschen sind Migranten, wenn man den Begriff weit fasst. So gut wie keine Familie lebt seit Ewigkeiten am gleichen Ort. Trotzdem regt mich der Vergleich von Migranten und Ostdeutschen auf. Warum soll man fast 30 Jahre nach der Wiedervereinigung in die ohnehin gestrige Ossi-Wessi-Debatte nun auch noch Migranten miteinbeziehen? Wem nützt das?

Erstens gibt es “den Ossi” nicht mehr. Für mich ist mindestens jeder, der jünger als 40 ist, kein richtiger Ossi mehr. Weil er zwar vielleicht in der DDR geboren wurde, aber die meiste Zeit seines Lebens nicht im sozialistischen Pleite-Staat verbracht hat. Wossi wäre die richtige Bezeichnung dieser wachsenden Bevölkerungsgruppe. Man könnte sie auch Deutsche nennen. Zweitens habe ich grundsätzliche Probleme mit Identitätspolitik. Nichts anderes machen die Autoren der Studie über Migranten und Ostdeutsche, die kürzlich erschienen ist. Sie behaupten, dass Ostdeutsche eine ähnlich unterdrückte Minderheit seien wie Muslime. Dadurch hilft man weder dem Islam noch den Sachsen, Thüringern oder Mecklenburgern, in der deutschen Gesellschaft als natürlicher Teil wahrgenommen zu werden.

Ich bezweifle, dass wir als vielfältige Gesellschaft weiter zusammenwachsen, wenn wir uns in immer neuen absurden Studien und dazugehörigen Artikeln mit unserer Teilung beschäftigen. Das Beispiel Mecklenburg-Vorpommern: Hier bin ich geboren und aufgewachsen. Es ist eines der ärmsten und das am ländlichsten geprägte Bundesland Deutschlands. Gleichzeitig ist es fast 30 Jahre nach der Wiedervereinigung neben Bayern das beliebteste Urlaubsland der Deutschen. Die Arbeitslosenzahlen gehen zurück, die Armutsraten sinken. Viele Mecklenburger oder Vorpommern leben in Familien mit Migrationsgeschichte. Nach dem Zweiten Weltkrieg flüchteten viele entlang der oder über die Ostsee. Doch die Mehrheit der Menschen, die ich von der Ostseeküste kenne, definieren sich heute mehr als Norddeutsche. “Moin” sagen sie zur Begrüßung. Und zur Frage, ob Ossis auch Migranten seien, sagte mir ein Mecklenburger, bevor er im Osterurlaub zu einem Strandspaziergang aufbrach: ‘Lass mal gut sein.'”

Steffen Dobbert, geboren 1982 in Wismar, ist Redakteur von ZEIT ONLINE.

Maike Nedo

“Die Frage, ob Ostdeutsche auch Migranten sind, hätte man bereits in den Neunzigern diskutieren sollen. Damals zog ich, wie Millionen andere, vom Osten in den Westen. Meine Herkunft versteckte ich. Wegen all der abwertenden Klischees: Ossis arbeiten nicht. Die jammern. Sind nicht demokratiekompatibel. Ich fürchtete berufliche Nachteile, hätte ich mich stärker als das gezeigt, was ich war. Dass es ähnliche Stereotype über Migranten gab, spürte ich mehr, als dass es mir bewusst war.

Der Einzige, mit dem ich damals offen über meine Herkunft sprach, war der Mann, in den ich verliebt war. Zufall oder nicht: ein Westdeutscher mit Migrationshintergrund. Weil er sich interessierte, woher ich kam. Weil er gerade mein Anderssein besonders mochte. Aber auch, weil sich seine Erfahrungen in meinen Fremdheitsgefühlen spiegelten.

Allerdings war er selbst gar kein Migrant, er war in Hessen aufgewachsen. Sein Vater stammte aus Libyen. Dessen Aussehen lieh ihm eine migrantische Herkunft sozusagen gleich mit, während ich, obwohl ich eine sogenannte innerdeutsche Migration hinter mir hatte, unsichtbar bleiben konnte. Wenn er ein Mihigru war – ein Mensch mit Migrationshintergrund –, dann war ich eine Zohigru, und es gab in diesem noch recht jungen wiedervereinigten Deutschland keine Erfahrung, auf die wir hätten zurückgreifen können. Noch heute schmerzt es mich, wenn ich mich erinnere, wie oft wir uns anschauten, ohne uns erkennen zu können.”

Maike Nedo, geboren 1971 in Chemnitz, lebt als Autorin und Publizistin in Berlin.

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