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Beziehungsprobleme: Wenn Führungskräfte Liebeskummer haben

Simone Mayer* nimmt sich selten frei. Als Chefeinkäuferin eines Industrieunternehmens arbeitet sie oft 70 Stunden in der Woche und verbringt den Großteil ihres Urlaubs im Büro. Doch zu ihrem achten Hochzeitstag buchte Mayer für zwei Wochen eine kleine Pension auf Gran Canaria. Am Morgen des Jubiläums prostete sie auf der Frühstücksterrasse ihrem Mann mit der Kaffeetasse zu: “Auf die nächsten zehn Jahre!”, sagte sie. Aber er stieß nicht mit ihr an. “Er schaute mich nur lange an und sagte dann: Ich will dich nicht mehr, ich brauche dich nicht mehr. Ich ekel mich nur noch vor dir”, erinnert sich Mayer. “Dann stand er auf und packte seine Sachen.” Sie habe sich 20 Minuten lang nicht rühren können, starr vor Schock und Scham, sagt sie. “Ich habe das überhaupt nicht kommen sehen.”

Fast sieben Jahre ist dieser Morgen her. Auf einem Foto aus der Zeit nach der Trennung sieht Mayer viel älter aus, als sie ist. Ihre Wangen sind eingefallen, die Augen geschwollen. Heute würden die meisten die 57-Jährige mit dem stylishen Kurzhaarschnitt, roten Lippenstift und Pfennigabsätzen auf Mitte 40 schätzen. “Ich konnte damals weder schlafen noch essen”, erzählt sie. “Ich wollte nicht mehr leben.” Zurück in Deutschland bekam Mayer einen Anruf von einer Unbekannten. Die Frau am anderen Ende der Leitung erzählte Mayer, dass sie seit anderthalb Jahren eine Affäre mit ihrem Mann habe – und er inzwischen bei ihr wohne.

Um den Schmerz zu betäuben, stürzte sich Mayer in die Arbeit. Sie ging jeden Abend als letzte. Wenn sie nicht schlafen konnte, fuhr sie mitten in der Nacht zurück ins Büro. Sie nahm 15 Kilo ab. Die Alltagsaufgaben bekam sie zwar mit Mühe noch erledigt, an große Projekte sei aber nicht zu denken gewesen, erzählt sie. Im Oktober 2012 kam der Firmeninhaber zu Mayer ins Büro und drückte ihr ein Kärtchen mit einer Adresse in die Hand. “Er sagte: Ich kann mir ihren Verfall nicht mehr mit ansehen. Wir brauchen Sie hier, das wissen Sie. Bitte holen Sie sich dort Hilfe – auf Firmenkosten”, erinnert sich Mayer. 

“Niemand kann gut arbeiten, wenn es zu Hause brennt.”

Christine Backhaus, Diplom-Psychologin und Coach für Arbeits- und Beziehungsthemen

Zuerst wollte sie nichts davon hören. “Ich dachte: Ich bin eine starke Frau, ich brauche das nicht”, sagt sie. Doch der Chef habe sie mit zwei Argumenten überzeugt. Nummer eins: Die Firma gehe gerade durch eine schwere Phase, wenn Mayer ganz ausfalle, seien sie verloren. Nummer zwei: Was er ihr anbiete, sei keine Psychotherapie, sondern ein Coaching.

Coaching, das hörte sich für Mayer vertraut an, nach Optimierung, nicht nach Schwäche. So landete sie bei einem Coachingunternehmen, deren Steckenpferd Führungskräfte mit Liebeskummer und Beziehungsproblemen sind. “Karriere und Beziehung im Dialog” lautet der Slogan auf der Website von Psyconomy. Das Unternehmen beschäftigt nach eigenen Angaben ein Team aus fünf Diplom-Psychologen und hat 1.000 Kundinnen und Kunden im Jahr. Die Sitzungen bezahlen die Klienten in der Regel selbst, oft übernehmen aber auch die Unternehmen die Kosten. Das Coaching läuft dann offiziell etwa als Persönlichkeitsentwicklung oder Burn-out-Prophylaxe. Etwa ein Fünftel solcher Beratungen würde sich aber in Wahrheit um Beziehungsprobleme drehen, sagt die Psyconomy-Gründerin Christine Backhaus, 55 – eine elegante Diplompsychologin, die so vor Energie strotzt, als hätte man bei ihr auf die Fast-Forward-Taste gedrückt.

“Niemand kann gut arbeiten, wenn es zu Hause brennt”, sagt Backhaus. Und bei Führungskräften stünde besonders viel auf dem Spiel, wenn sie wegen privater Probleme nicht mehr bei der Arbeit funktionieren. An einer Topmanagerin würden oft Projekte in Millionenhöhe hängen, die gefährdet wären, wenn er ausfallen würde – deswegen seien Firmen oft bereit, die Coachingkosten zu übernehmen.

Führungskräfte haben erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen

Zum Gespräch hat sie in einen der drei Psyconomy-Standorte in Frankfurt eingeladen: einem Altbau mit Flügeltüren, Parkett und vollen Bücherschränken aus dunklem Holz. Backhaus berät seit insgesamt 18 Jahren zu Karrierethemen, im Jahr 2002 gründete sie Psyconomy. Zuvor arbeitete sie drei Jahre lang als Managementberaterin bei einem großen Konzern. 2006 trennte sie sich nach über 20 Jahren Beziehung von ihrem damaligen Mann und hat gemerkt, wie schwierig es ist, neu zu beginnen – vor allem für karriereorientierte Menschen, die beruflich sehr eingebunden sind. Daraus sei die Idee entstanden, auch zu Beziehungsthemen bei Psyconomy zu beraten. Die Zielgruppe des Unternehmens: “Kurz zusammengefasst: Fach- und Führungskräfte, die das nötige Portemonnaie haben”, sagt Backhaus. “Bei der Arbeit sind sie zwar leistungsstark – aber oft sehr anfällig für private Krisen.”

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