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Bahnverbindung: Auf dem Stumpengleis

Bahnverbindung: Auf dem Stumpengleis

Auf dem Stumpengleis
© Anton Hallmann/Sepia für DIE ZEIT

Es muss ein hartgesottener Eisenbahnromantiker sein, wer diese Reise auf
sich nimmt. Eurocity 191/30191, von Basel über Zürich nach München. Vier Stunden und 45
Minuten dauert die Fahrt. Die Wagen sind bald 30 Jahre alt, WLAN gibt es nicht, und als in
Lindau am Bodensee, “Schau, das schwäbische Meer!”, raunt ein Fahrgast einem andern zu, als im
kleinen Sackbahnhof auf der Insel die Lok gewechselt wird und der Zug anschließend eingleisig
durchs Allgäu kurvt, fehlt sogar die Fahrleitung. Zwei Diesellokomotiven ziehen die Wagen
durch die frühlingsgrüne Landschaft. Die Strecke ist nicht elektrifiziert.

München und Zürich, zwei der reichsten Metropolen im deutschsprachigen Raum, sind mit einer Nostalgie-Bahn verbunden. Und auch auf den meisten anderen Verbindungen aus Deutschland in die Schweiz oder nach Österreich, rein, raus und durch in die Alpen, ruckelt der Verkehr, anstatt zu fließen.

Zwischen Salzburg und München kriechen die Züge mit Tempo 80 durchs deutsche Eck. Von Zürich nach Stuttgart schleichen sie durch den Schwarzwald. Und der Güterverkehr durch die Alpen wird seit Jahren immer stärker ausgebremst.

In der Schweiz wurde 2016 der Basistunnel durch den Gotthard eröffnet, in Österreich werden am Brenner seit vier Jahren zwei neue Eisenbahnröhren gebohrt. Aber was ist mit Deutschland? Dort sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel zwar: “Wir wissen, der Gotthardtunnel ist sozusagen das Herz. Die Aorta fehlt noch.” Trotzdem hinkt Deutschland mit seinen Bahnprojekten 20 Jahre hinterher.

So ist zum Beispiel auf der Rheintalstrecke, die im wichtigsten europäischen Güterkorridor von Rotterdam über Basel nach Genua liegt, der Abschnitt zwischen Karlsruhe und Basel noch immer nicht auf vier Spuren ausgebaut. Eine fixe Deadline gibt es bis heute nicht. Von Anfang der 2040er Jahre ist aktuell die Rede.

Lange schauten die Schweizer und Österreicher den rumtrödelnden Deutschen geduldig zu. Nun haben sie genug – und vor Kurzem eskalierte der Streit.

Es war im vergangenen November. In der Schweizer Botschaft in Berlin traf sich alles, was im alpenquerenden Güterverkehr Rang und Namen hat. Eingeladen und aus Bern angereist war auch Peter Füglistaler, Direktor des Bundesamts für Verkehr. “Die Leute erwarteten eine launige Jubiläumsrede, aber ich hatte keine Lust darauf.” Ein deutscher Verkehrspolitiker, der beim Empfang dabei war, sagt: “Der hat öffentlich Tacheles geredet. Anders als wir das von den höflichen Schweizern sonst gewohnt sind.” Tatsächlich, selbst auf seinen PowerPoint-Folien hielt Füglistaler mit Kritik nicht hinterm Berg: “Wir haben zwei wichtige Mitarbeiter im internationalen Schienengüterverkehr: Jemand und Niemand”, stand da. “Jemand baut immer Mist. Und niemand ist schuld.” Seit zehn Jahren, fuhr Füglistaler fort, nähmen die Verspätungen stetig zu. Dabei sei der internationale Schienengüterverkehr nur konkurrenzfähig, also effizient und günstig, wenn er pünktlich und verlässlich sei. Aber diese “Höchstleistung” brauche eine moderne Infrastruktur, und die sei nicht überall vorhanden: “Sorgenland Nummer eins ist: Bahnland Deutschland.” Die Deutschen, sollte das heißen, seien inzwischen unzuverlässiger als die Italiener! Das saß.

Der Ärger des Schweizer Amtschefs ist verständlich. Seit mehr als 20 Jahren, seit 1996 die Schweiz und Deutschland in Lugano einen Vertrag über den grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr unterzeichneten, ist klar, was die beiden Länder dafür tun müssen. Die Schweiz und auch Österreich haben – zumindest in weiten Teilen – geliefert, was sie versprochen hatten. Deutschland bisher recht wenig.

Was für die Deutschen ein Nebengleis, ist für die Österreicher eine Hauptstrecke

Ein früherer DB-Manager, der viel mit ÖBB und SBB zu tun hatte, sagt: “Es gibt extreme Mentalitätsunterschiede. Die Deutschen haben immer sehr viel darüber geredet, was alles nicht geht. Die Österreicher hatten die Haltung: Das sehen wir später, wie wir das Problem lösen. Und die Schweizer meinten: Wir möchten das und das erreichen, lasst uns jetzt klären, wie.”

Doch nicht nur der Güterverkehr rollt lediglich hotternd über die Grenzen. Auch im internationalen Personenverkehr harzt es.

Irgendwo zwischen Kufstein, Rosenheim und Salzburg gerät die europäische Eisenbahn-Integration ins Stottern. Das deutsche Eck ist das Nadelöhr für die Schienenverbindung zwischen dem Westen Österreichs und dem Rest. Wenn der Zug von Bregenz nach Wien dort wieder einmal langsamer wird und irgendwann stehen bleibt, dauert es nicht lange bis zur Durchsage: “Wegen einer Baustelle der Deutschen Bahn kommt es zu einem Betriebsaufenthalt.”

Für die Deutsche Bahn ist der Streckenabschnitt ein Nebengleis, auf dem ein paar Regionalzüge entlangschleichen. Für die ÖBB hingegen eine Hauptroute für ihre Fernverbindungen. Doch bei der Schiene wird selten über die Grenze hinaus gedacht. Alle kümmern sich um die eigenen Gleise, setzen nationale Prioritäten, und die Betreiber arbeiten oft mehr schlecht als recht zusammen.

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