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Ukraine: Russland will einen Neuen

Viele Russen verfolgen gespannt den Wahlkampf im Nachbarland Ukraine: Bei den einen ist es
Neid auf die lebendige politische Debatte. Bei anderen eine Mischung aus politischem Voyeurismus und Sensationsgier. Häufig aber auch die aufrichtige Hoffnung auf eine Entspannung
zwischen Russland und der Ukraine. Akribisch dokumentierten
Medien jeden Schritt und jede Äußerung des Amtsinhabers Petro Poroschenko und seines
Herausforderers Wolodymyr Selenskyj. Nicht etwa, weil es der Kreml so will, sondern weil die Nachrichten aus der Ukraine Klicks und Zuschauer bringen. Zumal der russische Präsident
dieser Tage in der Ukraine allgegenwärtig scheint, wenn auch nicht persönlich.

Wladimir Putins Gesicht prangte etwa
auf Wahlplakaten von Poroschenko. Die Botschaft: Nur der
amtierende Präsident könne das Land vor Putin beschützen. Ukrainische Publizisten, Politikexperten
und Journalisten veröffentlichten Analysen, wer von den beiden Kandidaten in der Stichwahl am Ostersonntag für Putin der leichtere
Gegner sei. Und wen der Kreml
deswegen direkt oder indirekt unterstützen könnte. Beim TV-Duell im Kiewer
Olympiastadion warfen sich Poroschenko und Selenskyj gegenseitig vor, insgeheim
gute Kontakte nach Moskau zu pflegen.

Selenskyj ist in Russland populär

Die Wahl, bei der die
Ukrainerinnen und Ukrainer den Mann an der Staatsspitze bestimmen, zeigt, wie komplex das Verhältnis Verhältnis zwischen den beiden Ländern ist. Fünf
Jahre nachdem Russland völkerrechtswidrig die ukrainische Schwarzmeer-Insel Krim annektiert und einen Krieg im Donbass befeuert hat, ist die Stimmung zwischen den Regierungen
Russlands und der Ukraine vergiftet. Und dennoch ist die Ukraine drauf und dran, mit dem Schauspieler und Komiker Selenskyj einen
Mann zu wählen, der im Konflikt mit Russland zu Besonnenheit aufruft und etwa
Einreiseverbote für russische Künstler und die Sperrung russischer sozialer
Netzwerke kritisiert.

In Russland hat
die staatliche Propaganda die Ukraine über Jahre als einen gescheiterten Staat
gezeichnet, in dem russophobe Nationalisten die Macht gekapert haben. Bei den
Wahlen würde massiv manipuliert und gefälscht. Dennoch verfolgen
rund 40 Prozent der Russen laut einer Umfrage WZIOM-Instituts die Ukraine-Wahl
aufmerksam. Bemerkenswert auch: Mit 31 Prozent ist Selenskyj der Favorit der
Befragten in Russland, während nur ein Prozent Poroschenko bevorzugen würde. Er
sei besser als der Amtsinhaber und könnte die Situation in der
Ukraine verbessern, so sehen das die Befragten. Fast acht Prozent könnten sich jemanden wie den Comedy-Star und
Schauspieler sogar an der Staatsspitze in Russland vorstellen.

Poroschenko war für den Kreml das perfekte Feindbild

Russische und ukrainische Meinungsforscher haben zuletzt gemessen, dass die Sympathie in beiden Ländern zu den Bürgern des jeweils anderen Landes wieder wächst, während die jeweils andere Regierung sehr negativ gesehen wird. Selenskyj präsentiert sich als
Mann aus dem Volk, er ist kein klassischer Politiker. Genau das macht ihn auch in Russland populär. Zumal er dort ein TV-Star ist und einst sogar bei Russlands staatlichem
Sender Rossija unter Vertrag stand. 

Der Kreml hat es bisher vermieden, öffentlich einen Favoriten zu benennen. Von kremlnahen Politikberatern
heißt es lediglich, dass “jeder außer Poroschenko” aus Russlands Sicht der
bessere Mann an der Spitze der Ukraine wäre. Die russisch-orthodoxe Kirche
warb zuletzt offen für Selenskyj. Dieser werde im Falle seine Wahlsieges, so
die Hoffnung, den Aufbau einer nationalen ukrainischen Kirche weniger Konsequent verfolgen
als der amtierende Präsident. Man könne
darauf hoffen, dass der Ton weniger aggressiv wird und einzelne Beschränkungen,
wie das Verbot von Direktflügen zwischen Russland und der Ukraine,
zurückgenommen werden, meint etwa Außenpolitikexperte Wladimir Frolov. Mehr
aber auch nicht. Politikberater Alexej Makarkin von Zentrum für Politische
Technologie verweist auf die verfrühte Freude über Donald Trump in Russland. Dessen Wahlsieg hat nicht zu einer Entspannung zwischen Russland und den USA geführt.

Mittelfristig könnte
Selenskyj für Putin sogar zu einem Problem werden. Denn eigentlich hatte
Moskau vor der Wahl auf ganz andere Kräfte im Nachbarland gesetzt. Offen moskaufreundliche
Politiker hatten in der Ukraine wieder an Beliebtheit gewonnen. Juri Bojko, der kurz vor dem ersten Wahlgang
nach Moskau zu Verhandlungen reiste, holte überraschend hohe 11,5 Prozent. Und
die Partei des Putin-Freunds Wiktor Medwedtschuk kann nach neusten Umfragen bei
der Parlamentswahl im Herbst mit 16 Prozent auf Platz zwei landen. Vor allem
im Osten und im Süden ist Bojko populär. In den ukrainisch
kontrollierten Teilen des umkämpften Donbass ist seine Partei in den Umfragen sogar die stärkste.

Es sind diese Wählerinnen und Wähler, die nach Wunsch des Kremls Russland wieder politischen Einfluss in der
Ukraine sichern sollen. Mit Wolodymyr Selenskyj wird nun mit großer Wahrscheinlichkeit
ein Mann in Kiew an die Macht kommen, der vielleicht prorussischer auftritt als sein Kontrahent, der amtierende Präsident, der aber dennoch nicht Putin-freundlich ist. Selenskyj nimmt die Sorgen der Russen in der
Ukraine wahr, orientiert sich aber politisch Richtung Westen und hält am
europäischen Kurs fest. Wenn er seine Popularität behält, könnte er so Putins Favoriten zurückdrängen. Poroschenko hat für den Kreml in Russland wenigstens das Bild des Lieblingsschurken bedient.

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