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Machtwechsel: Was von der Revolution in Armenien übrig bleibt

Vor einem Jahr erlebte Armenien die “samtene Revolution”: Am 23. April beugte sich Sersch Sargsjan, der das Land ein Jahrzehnt lang zunehmend autoritär geführt hatte, den friedlichen Protesten Hunderttausender gegen Vetternwirtschaft und Korruption. Der frühere Journalist und Oppositionspolitiker Nikol Paschinjan kam als Ministerpräsident an die Regierung – ein Neuanfang nach 20 Jahren korrupter Herrschaft der Republikanischen Partei. Aber die Euphorie derer, die damals den Wechsel wollten, hat inzwischen gelitten. “Wir haben uns zu weit entfernt von der Idee, gemeinsam ein neues Land zu bauen”, sagt die Menschenrechtlerin Zara Hovhannisjan.

Die 44-jährige frühere Journalistin koordiniert Projekte gegen Gewalt an Frauen einer Koalition von zehn Menschenrechtsorganisationen und Frauenzentren. Auch Hovhannisjan demonstrierte und hoffte auf einen Wandel. Viele ihrer Mitstreiter von damals sind noch immer begeistert von Paschinjan, der mit dem Versprechen einer bürgernahen Reformpolitik an die Macht kam. Sie sitzen heute als Abgeordnete im Parlament, sein Bündnis “Mein Schritt” holte bei der Parlamentswahl im Dezember mehr als 70 Prozent der Stimmen, die Republikaner scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde. Enttäuscht ist sie nicht, sagt Hovhannisjan, “auf keinen Fall, denn das oligarchische System wurde endlich gesprengt. Aber da ist ein Bedauern über die verpassten Möglichkeiten.”

Von der Verfassungsreform etwa, die ein faktisches Ein-Parteien-System unmöglich machen sollte, ist vorerst keine Rede mehr. Das neue Parlament hat über den Vorschlag, den Hovhannisjan und andere Aktivisten vorangetrieben hatten, nicht einmal mehr debattiert. Oder die Polizei und der Geheimdienst: Sie bleiben direkt dem Regierungschef unterstellt, die Abgeordneten können die Sicherheitsorgane nicht unabhängig kontrollieren.

Dafür hat Paschinjan in seiner Regierung die Zahl der Ministerien von 17 auf 12 reduziert, was womöglich effizienter ist und weniger Gehaltskosten verursacht, aber auch Tausende Mitarbeiter im öffentlichen Dienst ihren Job gekostet hat. Von den linken Forderungen, die der heutige Ministerpräsident als Wortführer der Revolutionäre erhob, ist in seiner konkreten Politik kaum etwas zu sehen. Vorher ging es viel um Umverteilung, inzwischen ist eher eine liberale Wirtschaftspolitik zu sehen, die Leistung belohnen soll.

Besonders umstritten ist in diesen Tagen Paschinjans geplante Steuerreform. Sie sieht einen festen Steuersatz für alle Einkommen vor, 23 Prozent für den Millionär wie für den Tagelöhner statt der bisher drei Stufen von 23 bis 36 Prozent Einkommensteuer. Profitieren wird davon laut Schätzungen nur etwas mehr als ein Drittel der Armenier, die Reichen dürften dabei noch reicher werden. Zusätzlich verschärft würde der Effekt durch einen Vorschlag des Finanzministeriums: Die geringeren Einnahmen des Staats nach der Reform sollen ausgeglichen werden durch eine Erhöhung der Verbrauchsteuern auf Zigaretten, alkoholische und stark zuckerhaltige Getränke.

Die Gesichter an der Macht sind andere, aber sonst?

Für Hovhannisjan ist das eine “Politik, die eher an einen klassischen Machtwechsel und nicht an eine Revolution erinnert”. Denen, die nun an der Macht seien, “war es Revolution genug, dass sich die Gesichter der Entscheidungsträger geändert haben”.

Und diese neue Machtelite hat sich erst einmal selbst belohnt. Der neu gewählte Bürgermeister der Hauptstadt Jerewan etwa zahlte seinen Mitarbeitern zu den Neujahrsfeier insgesamt mehr als 970.000 Dollar an Boni aus. Weitere Bürgermeister und auch Minister gönnten ausgewählten Mitarbeitern und vor allem sich selbst Prämienzahlungen, oft in Höhe eines zusätzlichen Monatsgehalts. Allen voran der Finanzminister: Er selbst zahlte sich 10.000 Dollar Bonus aus, bei einem Monatsgehalt von 1.600 Dollar. Und sein Patenkind, das zugleich sein Stellvertreter ist, bedachte er mit 14.500 Dollar – eine der höchsten bekannten Prämien. Viele der Zahlungen sind teils auf Druck von Journalisten oder Aktivisten öffentlich gemacht worden, aber nicht alle.

Solche Boni sind innerhalb der Staatsverwaltung grundsätzlich üblich: Neben dem 13. Monatsgehalt bekommen Beamte zusätzlich Geld, weil sie “gut gearbeitet” haben. Allerdings gibt es kein Gesetz, das diese Praxis regelt. Und so herrscht finanzielle Willkür allenthalben – was die Unzufriedenheit der Bürger und tatsächlich engagierter Beamter nicht gerade lindert. Manche, die in der Kritik stehen, versuchen es mit Wohltätigkeit. Die neue Chefin der staatlichen Wasserversorgung etwa spendete ihren 1.000-Dollar-Bonus an die Stiftung “Mein Schritt” von Paschinjans Ehefrau, andere folgten dem Beispiel. So ehrenwert das zunächst wirkt, wirft es doch auch einige unangenehme Fragen auf.

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