/Katharina Schulze: “Hey, ich versteh Sie!”

Katharina Schulze: “Hey, ich versteh Sie!”

Die Tür fällt ins Schloss. Katharina Schulze sinkt in die Knie, legt die
Hände aufs Herz, atmet lange aus: “Hufffffffff”. Dann prustet sie los, lacht schallend. “Ich
habe solche Angst vor Hunden!”

Katharina Schulze ist der Star der bayerischen Grünen. Sie hat die Partei im Freistaat groß gemacht. Seither wollen alle von ihrem Erfolg profitieren. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz und Österreich. In Zürich unterstützte sie Martin Neukom, der Ende März überraschend in den Regierungsrat gewählt wurde. In Salzburg die Grüne Martina Berthold, die als Bürgermeisterin kandidierte.

Nun kauert Schulze in einem grauen Treppenhaus in Milbertshofen, einem Quartier in München, in dem die Wahlbeteiligung besonders niedrig ist, und erholt sich vom Schrecken, den sie sich selbst zufügte, als sie sich überwand, einen Hund zu streicheln. Über das pinkfarbene Kleid, das sie noch vor ein paar Stunden im Bayerischen Landtag trug, hat sie sich ein grünes T-Shirt mit Europa-Sternen-Kranz gezogen. Mit Parteifreunden tingelt sie von Tür zu Tür. Vier Teams à zwei Personen, keine Wohnung wird ausgelassen, alles wird akribisch festgehalten. 30.000 Haushalte hat das Team vor den Landtagswahlen im vergangenen Herbst besucht, für den kurzen Europawahlkampf vor dem 26. Mai sollen es 10.000 werden.

Katha, wie sie hier alle nennen, und ihr Kollege Georg Nitsche, ein engagierter Rentner, schaffen in 70 Minuten 80 Türen. Sie verteilen Flyer, schenken den Kindern ein Windrädchen.
Grün klingelt
heißt das Haustürwahlkampf-Format, das Schulze vor zehn Jahren mit ein paar Leuten nach München gebracht und seither immer größer gemacht und in etliche Bundesländer exportiert hat. Kennengelernt hat sie es in den USA, als sie 2008 als Freiwillige in Michigan im Wahlkampf von Barack Obama mitgearbeitet und das
Yes we can-Credo verinnerlicht hat.

Die 33-jährige Politikwissenschaftlerin Schulze hat die Grünen in Bayern zur staatstragenden Partei gemacht: Mit 17,8 Prozent Wähleranteil ist ihre Partei bei den Landtagswahlen zur zweitstärksten Kraft aufgestiegen und hat die Sozialdemokraten als wichtigste Oppositionskraft verdrängt. Zusammen mit einem Kollegen führt Schulze seither die Fraktion.

Wie viel muntere Hemdsärmeligkeit verträgt es bei den Grünen?

Die grüne Welle hat in den vergangenen Monaten auch die Schweiz erreicht. Die Partei hat bei mehreren kantonalen Wahlen 23 Sitze hinzugewonnen. Seither sitzen 216 Grüne in den Kantonsparlamenten. Mehr als je zuvor.

Vor Hunden hat Katharina Schulze Angst. Nicht aber vor den Menschen, die hinter den immer gleichen weißen Türen in den dreistöckigen Blockbauten hervorlugen. Es macht ihr tatsächlich Spaß, dem tätowierten Mann, der sich mit verschränkten Armen vor ihr aufbaut – “Ich bin Dieselfahrer! Und will es bleiben!” – mit ihrer wohl wichtigsten Botschaft zu antworten: “Hey, ich versteh Sie! Wir wollen, dass der Industriestandort bleibt. Aber dafür muss er in eine nachhaltige Zukunft geführt werden.”

Wo andere beleidigt wären, wenn ihnen ein barsches “Ich wähle! Aber nicht grün!” an den Kopf knallt, bleibt sie munter: “Hauptsache, Sie gehen wählen!” Sie ahnt, ein paar Türen später wird sich eine jener Begegnungen abspielen, die sie in den zehn Jahren, in denen sie politisch aktiv ist, immer öfter erlebt. Menschen die zu ihr sagen: “Ich wähle seit Jahrzehnten CSU, bin auch in der Kirche. Aber was in der Flüchtlingspolitik abgeht, kann ich nicht mehr verantworten.” Ähnliches erlebe sie mit enttäuschten FDP-Wählern.

Grüne Ideen, und mögen sie auch radikal erscheinen, sickern in die Mitte der Gesellschaft, werden mehrheitsfähig. So wie das bayerische Volksbegehren “Rettet die Bienen”, das von 1,7 Millionen Stimmberechtigten unterschrieben wurde und auf bestem Weg ist, zu einem Gesetz zu werden. Unter anderem verlangt es, dass in Bayern bis zum Jahr 2030 ein Drittel der Landwirtschaftsbetriebe ökologisch bewirtschaftet sein müssen. “Das ist doch mal ne Ansage!”, sagt Schulze.

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