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Zentrum für Politische Schönheit: Stützen oder stürzen

Herbert Grönemeyer und Björn Höcke, die AfD und die Antifa, die äußerste
Linke und die Konservativen in der CDU: Die Koalition der Empörten, die sich inzwischen gegen
Dieter Lauinger formiert hat, den grünen Thüringer Justizminister – sie ist erstaunlich breit
und divers. Und man kann nicht sagen, dass Lauinger nicht auch selbst dafür verantwortlich
wäre.

Seit zwei Wochen diskutiert die Republik über einen Justizfall, der mit ihm, Lauinger, zu tun hat. Denn Anfang April stellte sich heraus, dass die Staatsanwaltschaft Gera seit 2017 gegen das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) ermittelt, ein Berliner Bündnis von Aktionskünstlern, wegen des Vorwurfs der “Bildung einer kriminellen Vereinigung”. Als die Ermittlungen jetzt ans Licht kamen, verteidigte Lauinger sie erst umständlich, sorgte dann aber plötzlich dafür, dass sie eingestellt werden. Was ihm unter anderem eine Petition mehrerer Prominenter einbrachte, darunter Grönemeyer: Lauinger solle sich entschuldigen und dafür “sorgen, dass solche Ermittlungen künftig erst überhaupt nicht begonnen werden”.

Abgesehen von der Frage, ob diese Forderungen etwas anmaßend sind, zeigen sie, dass Dieter Lauinger, 56, zwei Probleme hat. Erstens: Er hat mit seiner Kommunikationspolitik wieder einmal ein Problem eher vergrößert als verkleinert. Zweitens: Die Zahl und die Intensität seiner Pannen ist so hoch, dass er immer mehr zum Problem für Thüringens rot-rot-grüne Landesregierung wird.

Die aktuelle Misere begann vor eineinhalb Jahren im thüringischen Eichsfeld, im idyllischen Dorf Bornhagen, wo der AfD-Landesvorsitzende Björn Höcke mit seiner Familie das alte Pfarrhaus bewohnt. Dort, genauer: im Nachbargarten, errichteten Aktionskünstler des ZPS heimlich eine Miniaturausgabe des Berliner Holocaust-Mahnmals. Bei der öffentlichkeitswirksamen Präsentation im November 2017 forderten sie, dass Höcke sich entschuldigen solle, weil er das Gedenken an den Holocaust diffamiere. Die ZPS-Aktivisten erklärten, sie hätten auch das Privatleben des AfD-Mannes ausspioniert, mithilfe von Kameras und anderen Tricks. Falls Höcke nicht vor dem Mahnmal niederknie, werde man alles enthüllen.

Es gab damals viele Menschen, die die Aktion als gelungene Provokation feierten. Es gab allerdings auch nicht wenige, die beklagten, dass das ZPS hier Höckes Privatsphäre beeinträchtige. Dass von der Aktion auch seine Familie, vor allem seine Kinder betroffen seien. Und dass eine Bespitzelung der Familie eher nicht unter die Kunstfreiheit falle.

Die Staatsanwaltschaft in Mühlhausen ermittelte wegen des Verdachts der versuchten Nötigung. Nach einem Jahr wurde das Verfahren eingestellt, auch weil das ZPS nachträglich erklärte: Die Überwachung habe nie stattgefunden, sei lediglich Satire gewesen. Nun aber, Anfang dieses Monats, wurde durch eine parlamentarische Anfrage der Linken bekannt, dass eben auch die Staatsanwaltschaft Gera 2017 Ermittlungen aufgenommen; diese Ermittlungen aber, anders als die Kollegen in Mühlhausen, nie eingestellt hatte.

Das ZPS empörte sich in maximaler Lautstärke, die sozialen Netzwerke bebten. Die
FAZ
berichtete, dass der ermittelnde Geraer Staatsanwalt Martin Zschächner schon zu Studienzeiten als “Kaisertreuer” gegolten und Verfahren gegen Rechtsextreme mit den abenteuerlichsten Begründungen eingestellt habe.
ZEIT ONLINE
meldete
, dass der Staatsanwalt einst Geld an die AfD gespendet habe.

Spätestens von diesem Moment an richtete sich der Furor auch gegen Dieter Lauinger, den grünen Justizminister: Warum, hieß es, konnte Staatsanwalt Zschächner so lange ermitteln?

An diesem Punkt hätte Lauinger das sagen können, was Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sagte, als Journalisten ihn auf den Fall ansprachen. Ramelow verwies, einerseits, auf die Kunstfreiheit und kritisierte die Ermittlungen als unverhältnismäßig. Er betonte aber, andererseits, auch die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft.

Doch so klug agierte Lauinger nicht.

Er erweckte erst durch missverständliche Aussagen den Eindruck, hinter Zschächners Ermittlungsansatz zu stehen: Das ZPS habe sich schließlich selbst der Begehung von Straftaten bezichtigt!

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