/Wolfgang Pucher: Sturkopf vor dem Herrn

Wolfgang Pucher: Sturkopf vor dem Herrn

Mit Schwung öffnet Pfarrer Wolfgang Pucher die Tür zum
Aufenthaltscontainer des VinziDorfs. Der Raum ist randvoll mit Firmlingen. Sie sind aus
Schladming nach Graz gekommen, um die Einrichtung für ehemals wohnungslose Männer zu sehen.
“Keiner weiß, ob er nicht einmal hier landet”, sagt Pucher. Er erzählt die Geschichte von dem
Mann ohne Zähne, der fragte, ob er ihn nicht mehr kenne: Es war ein einstiger Schulkollege aus
dem Gymnasium. Ein Arzt sei schon hier eingezogen, ein Architekt, “und zuletzt haben wir einen
Bankdirektor gekriegt”. Kleinlaut schauen die Jugendlichen zu ihm hoch. “Wir haben heute alle
zu viel. Euch gehört allen ein Viertel weggenommen, dann ginge es euch besser”, ruft Pucher
noch – und weg ist er.

Wolfgang Pucher hat am 31. März seinen 80. Geburtstag gefeiert. Lag er zu seinem 70. schwer krank im Spital, wirbelt der drahtige Priester ein Jahrzehnt später wieder durch die Gegend. Nach all den Interviews und der Festmesse zum runden Geburtstag eilt der Gründer der 40 Vinzi-Einrichtungen bereits dem Oster-Stress entgegen. Erst im November wurde das Wiener VinziDorf eröffnet, für das er 16 Jahre kämpfen musste. Allen Widerständen zum Trotz. Wenn der Pfarrer sich etwas in den Kopf setzt, lässt er nicht mehr locker.

Im 1993 eröffneten VinziDorf in Graz kennt Pucher so manchen Bewohner seit Jahrzehnten. “Vota”, “Vater”, sagen einige zu ihm. Pucher mag das. Weihnachten feiert er immer hier: “Kein Chor der Welt singt
Stille Nacht
schöner als die Männer im VinziDorf.”

Es passt nicht in die Zeit, dass hier Menschen ohne Gegenleistung etwas bekommen

Einem Mann, der mit einem Sechser-Tragerl Bier vorbeischlendert, ruft Pucher zu: “Das ist ja leer!” – “Ein Grund rauszugehen”, antwortet der. Dass die Männer im VinziDorf Bier und Wein trinken dürfen, stieß anfangs auf Widerstand, auch jetzt in Wien war es wieder Thema. Es passt so gar nicht in die Zeit, dass hier Menschen völlig ohne Gegenleistung etwas bekommen. Ohne versprechen zu müssen, sie wollten mit dem Trinken aufhören und vielleicht irgendwann wieder arbeiten. Manche haben unzählige Entziehungskuren hinter sich. Die einzige Alternative für diese Männer wäre, sagt Pucher, dass sie auf der Straße leben. In der kleinen Kapelle im VinziDorf zeigt er auf die Fotogalerie der verstorbenen Bewohner. “Sie alle”, sagt er, “wären unter der Brücke gestorben.”

VinziWerke gibt es in Graz, Wien, Salzburg und im slowakischen Hostice, darunter Not- und Dauerunterkünfte, den VinziBus und VinziMärkte. In Hostice stellen Frauen für “VinziPasta – Arbeit statt Betteln” Nudeln her. Oft in seinem Leben wurde der streitbare Pfarrer zur Zielscheibe von Aggression, ja Hass. Doch heute ist Pucher mit Auszeichnungen von Stadt, Land und Bund hoch dekoriert. Das Preisgeld von einer Million Euro für den Essl Social Prize steckte er in ein Wohnprojekt für obdachlose Menschen in Salzburg.

Was in Graz begann und worauf die Stadt heute so stolz ist, das traf einst auf erbitterten Widerstand. Pucher erinnert sich an eine Versammlung aufgebrachter Bürger, bei der ein Mann erklärte, er wolle sehen, “wie sie den Pfarrer blutig hinaustragen”. Als er während des Jugoslawienkriegs ein Zeltlager für Geflüchtete errichtete, schickte ihm jemand ein Päckchen mit menschlichem Kot. Auch beim Wiener VinziDorf hatte er schon geglaubt, es komme nie zustande. “Da sind elendige Kleinigkeiten beeinsprucht worden, bis hin zur Fenstergröße.”

“Wir brauchen Strom, Licht, Kanal. In ein paar Wochen geht’s los, zahlen kann ich nichts. Wenn jemand aufsteht und geht, verstehe ich das.”

Wolfgang Pucher, Pfarrer aus Graz

Doch Pucher findet immer wieder Mitstreiter. Mehr als 800 Ehrenamtliche halten die Werke am Laufen. Als er in den Neunzigerjahren mit dem Grazer VinziDorf loslegen konnte, soll er den freiwilligen Helfern, darunter Bauunternehmern, erklärt haben: “Wir brauchen Strom, Licht, Kanal. In ein paar Wochen geht’s los, zahlen kann ich nichts. Wenn jemand aufsteht und geht, verstehe ich das.” Niemand ging.

“Einen unglaublichen Sturschädel” nennt ihn Andrea Sailer, VinziDorf-Mitarbeiterin und Schriftstellerin. “Wenn er etwas verspricht”, erklärt Gustl Eisner, seit 28 Jahren ehrenamtlicher Mitarbeiter, “dann gibt er keine Ruhe, bis das geschehen ist.” Deshalb und wegen seiner Direktheit würden manche ihn nicht mögen, auch innerhalb der Kirche.

Der Pfarrer sorgt selbst dafür, dass die Welt erfährt, was er gerade braucht. Eines Abends, so erzählt es Gustl Eisner, trafen er und Pucher, den gerade Geldsorgen umtrieben, in der Stadt einen bekannten Grazer Geschäftsmann. “Wie geht’s”, fragte der den Pfarrer. “Mir geht es gut”, antwortete Pucher, “nur Geld bräuchte ich wieder. Aber die göttliche Vorsehung wird mir schon helfen.” Wenige Minuten später kam der Geschäftsmann zurück und sagte: “Die Vorsehung hat schon zugeschlagen. Ich übernehme den Betrag.”

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