/Todesangst: “Ich hatte ständig Angst, morgens nicht wieder aufzuwachen”

Todesangst: “Ich hatte ständig Angst, morgens nicht wieder aufzuwachen”

Jan Kalbitzer ist Psychotherapeut, mit Menschen über ihre Ängste zu sprechen, ist er gewohnt. Doch wenn er über die eigenen Ängste spricht, kommt er manchmal ins Grübeln. Das Buch, über das wir sprechen wollen, sei eben das einer Privatperson, sagt er zu Beginn – nicht das eines Psychotherapeuten oder Forschers.

ZEIT ONLINE: Sie haben über die Angst vor dem Tod geschrieben, die, wie Sie meinen, viele Menschen umtreibt. Manche sogar krankhaft. Was ist damit gemeint?

Jan Kalbitzer: Todesangst ist ein Symptom, das häufiger vorkommt: Es gibt diese Angst im Rahmen des hypochondrischen Wahns. Es gibt auch eine Psychose, die damit einhergeht, dass Menschen glauben, bereits tot zu sein, das Cotard-Syndrom. Und bei der Angststörung haben Menschen oft körperliche Symptome wie Herzrasen, von denen sie glauben, dass sie zum Tod führen. Aber die Angst vor dem Tod kommt oft auch bei Menschen vor, die nicht wegen psychischer Beschwerden in Behandlung sind – und das finde ich bemerkenswert. Nachdem mein Buch erschienen ist, erzählten mir erstaunlich viele Leute, dass sie die Angst kennen. Viele treibt sie schon lange um. Und viele, die zu mir kamen – vor allem Männer –, hatten noch nie mit jemandem darüber geredet.

ZEIT ONLINE: Und was genau sind das für Ängste? Plötzlich und unvermittelt tot umzufallen?

Kalbitzer: Einerseits das. Die Angst, plötzlich zu sterben oder am nächsten Morgen nicht mehr aufzuwachen. Andererseits die Angst vor einem qualvollen Tod.

ZEIT ONLINE: Muss man das nicht auseinanderhalten? Die Angst vor dem Sterben, vor der Qual, vor dem Verlust der Unabhängigkeit ist doch etwas anderes als die Angst vor dem Tod, also vor der Nichtexistenz.

Kalbitzer: Das stimmt. Bei vielen Menschen nimmt die Angst vor dem Sterben im Laufe des Lebens ab, wenn sie merken, dass das Leben trotz körperlicher Einschränkungen lebenswert ist. Studien zeigen, dass Menschen im Alter ein gutes und zufriedenes Leben haben, wenn sie Grenzen akzeptieren, nicht wenn sie wenige Beschränkungen haben.

Die Angst vor der Nichtexistenz, die auch ich hatte, scheint hingegen ein grundlegend anderes Phänomen zu sein. Ich habe auf meiner Suche nach ihrem Ursprung ein paar Therapiestunden beim Psychotherapeuten Irvin Yalom genommen. Und der hat den Begriff des “ungelebten Lebens” geprägt. Die Angst vor dem Tod kann eine Angst davor sein, an seinem Leben vorbeizuleben. Eine Angst davor, nicht mehr zu existieren, obwohl man sein eigenes Leben noch nicht gelebt hat.

ZEIT ONLINE: Wie wurden Sie sich Ihrer Angst bewusst?

Kalbitzer: In einem Hotelzimmer in München habe ich eine Erfahrung gemacht, die der Psychologe Steven Hayes später ein spirituelles Erlebnis nannte, für das ich noch nicht reif war. Ich lag auf meinem Bett, schloss die Augen und hatte das Gefühl zu fallen. Ich fing an, mich von außen wahrzunehmen und mich von der eigenen Erzählung meines Lebens zu verabschieden. Nach einer Weile kam die Angst: Angst, etwas Schlimmes könnte mit mir sein, Angst zu sterben. Als ich meinem Lektor von dem Erlebnis und der Angst erzählte, ermunterte er mich ein Buch darüber zu schreiben.

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