/Nordirland: “Eine schockierende und wahrlich sinnlose Tat”

Nordirland: “Eine schockierende und wahrlich sinnlose Tat”

Der Tod einer Journalistin im nordirischen Londonderry zwei Jahrzehnte nach dem Karfreitagsabkommen hat vielerorts Bestürzung ausgelöst. Die 29-jährige Lyra McKee wurde nach Angaben der örtlichen Polizei bei
schweren Ausschreitungen am Donnerstagabend im Wohnviertel Creggan von einer Kugel getroffen, als
ein Mann auf
Polizisten schoss. McKee sei später im Krankenhaus gestorben. Bei der Auseinandersetzung wurden demnach auch Brandsätze auf Polizisten geschleudert, zwei Fahrzeuge wurden angezündet.

Die Polizei bezeichnete den Tod der Journalistin in
der Nacht zum Karfreitag als “terroristischen Vorfall” und nahm
Ermittlungen wegen Mordes auf. Führende Politiker verurteilten die Tat. Auslöser für die Krawalle könnte der jährliche Protest an Ostern im
Zusammenhang mit dem Nordirland-Konflikt gewesen sein. Die neuen Unruhen
trugen sich zu einem Zeitpunkt zu, zu dem irisch-katholische
Nationalisten an den Aufstand gegen die Briten im Jahr 1916 erinnern.

Die britische Premierministerin Theresa May sprach von einer
“schockierenden und wahrlich sinnlosen” Tat. McKee
habe ihre Arbeit mit großem Mut ausgeübt. Die Journalistin schrieb viel
über den Nordirland-Konflikt und seine Folgen und war unter anderem
für das Magazin The Atlantic und das Onlineportal Buzzfeed News
tätig. Sie hatte noch am Donnerstagabend ein Foto auf Twitter veröffentlicht, das die Unruhen in Creggan
zeigte.

Auch der irische
Premierminister Leo Varadkar verurteilte die Tat. “Wir können nicht
jenen erlauben, die Gewalt, Angst und Hass verbreiten, uns in die
Vergangenheit zurückzuziehen”, sagte er. In Nordirland hatten sich jahrzehntelang irisch-katholische
Nationalisten und protestantische Loyalisten bekämpft. Seit den Sechzigerjahren starben dabei 3.500 Menschen, viele wurden von der
Untergrundorganisation IRA getötet. Das Karfreitagsabkommen von 1998 hatte den Nordirland-Konflikt beendet. In den vergangenen Monaten stieg die Gewalt in
Nordirland jedoch wieder an. Die Polizei macht dafür die paramilitärische Gruppe “New
IRA” verantwortlich.

Parteien verurteilen Tat in gemeinsamer Erklärung

In einer gemeinsamen Erklärung schrieben die Vorsitzenden der größten
Parteien Nordirlands: “Der Mord an Lyra war auch eine Attacke
auf alle Menschen dieser Gemeinschaft, ein Angriff, auf den Frieden und
den demokratischen Prozess. Wir sind vereint darin, die Verantwortlichen
für dieses abscheuliche Verbrechen zu verachten.” Die Chefin der nordirischen
Partei DUP, Arlene Foster, nannte die Tat sinnlos. “Diejenigen, die
in den 70er, 80er und 90er Jahren Schusswaffen in unsere Straßen
gebracht haben, lagen falsch. 2019 ist es auch falsch.” Die DUP
unterstützt Mays Minderheitsregierung.

Der Tod McKees löse “Schock und Abscheu” aus, schrieb der Bischof von Derry,
Donal McKeown: “Gewalt löst nichts.” Über der Stadt habe sich “tiefe Traurigkeit”
ausgebreitet. Mit Aggression und Zerstörung würden einige am Ende genau
jener Gemeinschaft schaden, die zu verteidigen sie behaupteten. “Man
kann nicht behaupten, sein Land zu lieben und gleichzeitig Tod und
Schmerz bei den Menschen verursachen, die hier leben”, schrieb der Bischof. Auch der Erzbischof von Armagh
und Primas von Irland, Eamon Martin, verurteilte die Tat und sprach
von einem “sinnlosen, gewalttätigen Tod”.

“Wir müssen alles tun, um den Frieden trotz des Brexits zu sichern”

Die EU-Kommission reagierte besorgt auf den Vorfall. “Wir
verurteilen solche Gewalt und sind zuversichtlich, dass die britischen
Behörden die genauen Umstände dieses tragischen Vorfalls aufklären
werden”, erklärte ein Sprecher. Der
Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei für die Europawahl, Manfred
Weber (CSU)
, schrieb auf Twitter: “Dieser besorgniserregende Anstieg der
Gewalt in Nordirland ist auch eine Warnung an uns: Wir müssen alles tun,
um den Frieden in Nordirland und das Karfreitagsabkommen trotz des
Brexits zu sichern.”

Die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, sprach den
Angehörigen von McKee ihr Beileid aus. Der Vorfall sei am Karfreitag
besonders schmerzlich.

Auch der Geschäftsführer
von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr, zeigte sich betroffen. “Wir sind erschüttert und fordern rasche Aufklärung und
konsequente Strafverfolgung”, sagte Mihr. Der Fall zeige, wie gefährlich die Arbeit für Journalistinnen
und Journalisten auch in vermeintlich sicheren Ländern geworden sei.

Der Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten in Nordirland droht wieder aufzuflammen, seit die Grenzfrage zwischen Nordirland und Irland zu einem der zentralen Knackpunkte im Streit um den Brexit geworden ist. Im Entwurf für das Brexit-Abkommen zwischen Großbritannien und der EU wird das Problem über die sogenannte Backstop-Klausel geregelt.

Das Karfreitagsabkommen sieht neben der Aufteilung der Macht zwischen Protestanten und Katholiken eine offene Grenze zwischen Irland und Nordirland ohne Kontrollen vor. Sollten im Zuge des Austritts Großbritanniens aus der EU wieder
Grenzkontrollen zwischen dem EU-Mitgliedsstaat Irland und der britischen
Provinz Nordirland eingeführt werden, wäre das Abkommen
gefährdet.

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