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Deutsche Wohnen: Ein Herz für Aktionäre

Es sind Tage wie dieser zweite
Donnerstag im April, an denen sich der Zorn der Berliner Mieter entzündet. Der Wohnungskonzern Deutsche Wohnen hat gerade einen Sieg für seine Aktionäre vor dem
Berliner Landgericht erstritten. Er darf nun die Miete erhöhen, und zwar auch
über die Grenzen des Mietspiegels hinaus. Die rund sechs Euro pro Quadratmeter sind dem Unternehmen nicht
genug, die der Mietspiegel derzeit für eine mittelgroße Wohnung in mittlerer
Lage in älteren Bestandsgebäuden vorsieht. Es ging im Prozess um eine Erhöhung
von 42 Euro für eine Wohnung in Zehlendorf, die zukünftig 575 Euro kosten darf.
Das allein klingt nicht nach viel Geld. Aber es ist die Summe der Erhöhungen
und ihre immer schnellere Abfolge. Und es ist vor allem eine
Frage, die viele Großstadtbewohnerinnen und -bewohner wütend macht: Wie hoch sollen die Mieten noch steigen, bevor
endlich jemand eingreift? Deswegen haben schon 20.000 Berliner einen
Volksentscheid unterschrieben, der Konzerne wie die Deutsche Wohnen enteignen will.

Das Unternehmen gibt sich kämpferisch. “Wir lassen uns nicht enteignen. Wir werden nicht enteignet”,
entgegnete Deutsche-Wohnen-Chef Michael Zahn trotzig auf einer Podiumsveranstaltung.
Sein Unternehmen habe sich an Recht und Gesetz gehalten. Und es fühlt sich
überdies vom Grundgesetz geschützt. “Ich kann auch bei viel Fantasie keinen Grund
für Enteignungen sehen bei einem Unternehmen, dessen Wohnungen im Schnitt 60
Quadratmeter groß sind und für 580 Euro warm vermietet werden”, sagt Zahn. Verständnis für die Wut der Bewohner und den Volksentscheid hat er nicht. Die
Durchschnittsmieten in den Wohnungen des Konzerns lägen in Berlin bei 6,71 Euro.
Das klingt harmlos und nicht nach der großen Abzocke, wie es aufgebrachte
Bewohnerinitiativen tun.

27 Prozent Mietsteigerung in zehn Jahren

Doch tatsächlich
hat die Deutsche Wohnen die Preise ihrer Wohnungen in den vergangenen zehn
Jahren sehr stark angehoben. Das belegen Publikationen des Bundesinstituts
für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) sowie Angaben des Unternehmens
selbst. Demnach lag die Durchschnittsmiete im Jahr 2009 noch bei 5,29. Also ein Anstieg um 27 Prozent in zehn Jahren. Die
allgemeine Teuerung, die Inflation, stieg im selben Zeitraum nur um rund
13 Prozent, also etwa halb so stark. Ein Unternehmenssprecher relativiert: Man müsse aber dabei auch sehen, dass
Berlin von einem “unfassbar niedrigen Niveau” komme. Zuvor habe Berlin mit seinen Mieten auf
Niveau von Bielefeld gelegen.

Inzwischen übrigens liegt es auf dem Niveau von Düsseldorf. Zwar zogen die Mieten in Berlin insgesamt noch viel stärker an als in Wohnungen des Konzerns: In den vergangenen zehn
Jahren haben sich die Berliner Mietpreise verdoppelt. Bei Neuverträgen liegen sie inzwischen häufig bei zwölf Euro pro Quadratmeter. Und auch bei den landeseigenen Wohnungsgesellschaften ist das Wohnen
teurer geworden. Während die aber in den letzten Jahren
zurückhaltender wurden, trieb die
Deutsche Wohnen vor allem seit 2014 ihre Wohnpreise immer stärker nach oben: um
rund 3,7 Prozent pro Jahr.

Die Deutsche
Wohnen besitzt sehr viele Wohnungen in der Stadt, rund 11.500. Zirka jeder zehnte Hauptstadthaushalt wohnt also in ihren Beständen. Darunter sind viele Sozialwohnungen oder
solche, die ehemals Sozialwohnungen waren, die aber heute dem Konzern gehören. Viele
davon liegen in eher schlechten Lagen, an großen Straßen. Für die Mehrzahl der
Geringverdiener, die in solchen Wohnungen leben, sei es umso schwerer, mit den
Mietsteigerungen Schritt zu halten, sagt Stefan Kofner aus. Er ist
Professor für Wohnungswirtschaft an der Hochschule Zittau und hat untersucht,
inwiefern die großen börsennotierten Wohnungsunternehmen hierzulande den Markt
treiben: “Die Einkommen der meisten Mieter dürften seit 2010 nicht entsprechend
zugelegt haben.”

Niedrige Löhne, hohe Mieten

Der Konzern sieht das anders. Es
sei nicht wahr, dass die Berliner Mieten stärker stiegen als die Einkommen der
Bewohner, entgegnen dessen Sprecher: “Berlin hat einen absoluten Boom
hingelegt, auch bei den Einkommen.” Daten der Arbeitsagentur und des Berliner
Statistikamtes widerlegen das: Demnach wuchsen Berliner Gehälter zuletzt zwar
etwas stärker als die der Bundesbürger (um 1,7 statt 1,6 Prozent). Aber im Durchschnitt haben Berliner ein
Bruttogehalt von 3.126 Euro monatlich, gegenüber 3.209
Euro im Bundesschnitt – Bielefelder kommen übrigens auf 3.310 Euro. Düsseldorfer verdienen sogar auf 3.882
Euro brutto. Rechnet man heraus, dass in Großstädten viele Akademiker den
Schnitt nach oben ziehen und nimmt man nur die Beschäftigten mit
Berufsausbildung oder ohne Ausbildung – die eher das Gros der Bewohner der
Deutsche Wohnen repräsentieren dürften –, verdienen sie in Berlin 2.200 bis 2.800
Euro brutto. Auch das ist weniger als im deutschlandweiten Schnitt.

Gerade den Hauptstädtern machen die höheren Mieten also viel mehr zu
schaffen, das belegt auch eine andere Zahl von Stefan Kofner: “Die
Wohnkostenbelastungsquote liegt in Berlin inzwischen bei 35 Prozent im Schnitt.”
Mehr als ein Drittel ihres verfügbaren Nettoeinkommens geben die Hauptstädter
also allein fürs Wohnen aus. Ab 30 Prozent halten Ökonomen diese Quote gemeinhin
für zu hoch, für nicht mehr leistbar. Dann müssten Mieter den Konsum an anderer
Stelle einschränken, vor allem beim Essen oder bei Bildung. Kofner sagt: “Ich
gehe davon aus, dass viele Mieter in für sie inzwischen viel zu teuren
Wohnungen ausharren und sparen, bis es quietscht.”

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