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Notre-Dame de Paris: Frankreichs Mitte brennt

Sie ist ein Wahrzeichen von Paris, ein bedeutendes katholisches Gotteshaus, ein frühgotisches Bauwunder – eine Attraktion, die jedes Jahr Millionen Menschen anzieht. Doch die Kathedrale von Notre-Dame, in der am frühen Montagabend Flammen ausgebrochen sind, ist mehr als all das: Sie ist der Ort, vor deren Mauern Frankreich buchstäblich beginnt.  

Fünfzig Meter vor der Cathédrale Notre-Dame de Paris liegt der Nullpunkt, der Point zéro für Frankreichs Landstraßen. Von jenem unscheinbaren goldenen Stern im Kopfsteinpflaster aus werden alle Entfernungen in die Provinz gezählt – sei es  von hier bis nach Biarritz am Atlantik, Marseille am Mittelmeer oder Grenoble am Fuße der Alpen. Zwar ist Notre-Dame nicht der geografische Mittelpunkt des Landes, aber dennoch gilt die Kathedrale auf der ältesten Binneninsel von Paris, umflossen von zwei Seine-Armen, historisch als Zentrum Frankreichs.

Nirgendwo sonst stehen so viele Touristen Schlange. Die Kirche mit ihren Zwillingstürmen aus dem 12. Jahrhundert wollen jedes Jahr mehr Besucherinnen und Besucher sehen als etwa den benachbarten Eiffelturm oder das Brandenburger Tor in Berlin. Nun ist ein großer Teil dieses Monuments in Flammen aufgegangen: Wie französische und internationale Medien am Montagabend berichteten, sind der Dachstuhl und der einst 96 Meter emporragende Mittelturm eingestürzt. Auch am späten Abend loderte das Feuer, das vom Dach ausgehend Haupt- und Querschiff der Kathedrale erfasst hatte, weiter.

Millionen Franzosen verfolgten die Nachrichten über das Feuer in der Hauptstadt in den Medien, weltweit hatten Menschen Minuten, nachdem in den Nachrichten erste Bilder des Brandes zu sehen waren, begonnen,  Fotos der in Flammen stehenden Kathedrale zu posten – die meisten davon aus Zeiten, da die Kirche noch intakt war. “Notre-Dame ist ein Teil der Seele einer ganzen Nation”, sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in einer ersten Reaktion. “Wie wir alle bin ich traurig, diesen Teil von uns brennen zu sehen.”

Macron fuhr noch am Abend zur Feuerstelle. Er hatte kurz zuvor wohl seine wichtigste Rede des Jahres auf den morgigen Tag verschoben: Eigentlich wollte der Präsident seine Antwort auf die Gelbwesten präsentieren, wollte Gesetze und Ideen vorstellen, um die Wut vieler Franzosen und Französinnen nach 22 Großdemonstrationen zu bändigen. Aber dies wurde unwichtig angesichts der Flammen. Nahezu alle Fernsehsender unterbrachen ihre Programme, Zeitungen schalteten Liveticker, weinende Menschen versammelten sich auf den Brücken der Seine, dem Pariser Fluss, der sich an Notre-Dame vorbeischlängelt. Manche Schaulustige weigerten sich sogar, den Sicherheitsabstand der Polizei zu respektieren – fast so als könnten sie ihre Kathedrale retten, indem sie sie im Moment der drohenden Zerstörung nicht aus den Augen ließen. In ganz Frankreich schauten Menschen in Restaurants und Bars die Videos der brennenden Türme, des einstürzenden Mittelturms und der Rauchschwaden über er Stadt.

Jahrhunderte alte Holzbalken, Zunder für das Feuer

Kurz vor 19 Uhr war das Feuer im Dachstuhl der Kathedrale ausgebrochen. Dieser bestand offenbar aus unterschiedlichen und vor allem Jahrhunderte alten Holzbalken. Auf der offiziellen Website von Notre-Dame, die am Abend nicht mehr erreichbar war, heißt es, der Dachstuhl werde auch “Wald” genannt – so viele unterschiedliche Bäume und Hölzer seien benötigt worden, um ihn zu errichten. Der schlanke Spitzturm mit dem Kreuz darauf, den die Pariser flèche, also Pfeil nannten, sackte schon eine Stunde später zusammebn, begleitet vom Aufschrei der Passanten. Dieser Dachreiter stand in der katholischen Symbolik für die Verbindung zu Gott, er soll einen gen Himmel gereichten Finger darstellen.

Dass dieser Brand weltweit so viel Entsetzen auslöst, liegt wohl auch daran, dass keine Paris-Besucherin, kein Reisender den Anblick dieser imposanten Kathedrale verpassen kann. Wer nicht selbst dort war, kennt sie von Fotos oder aus Filmen. Alle Ausflugsdampfer auf der Seine führen an Note-Dame vorbei. Abends trinken Jugendliche vor den angestrahlten Türmen ihren Rotwein und spielen Gitarre, tagsüber stehen Touristen häufig stundenlang in den schier endlosen Schlangen an.

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