/Christian Pfeiffer: “Ich sagte dem Bischof: Wir lassen uns nicht kaufen”

Christian Pfeiffer: “Ich sagte dem Bischof: Wir lassen uns nicht kaufen”

DIE ZEIT:
Herr Pfeiffer, was wir in diesem Interview besprechen werden, wird Ihnen voraussichtlich
eine Menge Ärger bereiten.

Christian Pfeiffer:
Ja, aber vor Ärger habe ich in meinem ganzen Berufsleben nie zurückgeschreckt.

ZEIT:
Sie hüten seit langer Zeit ein Geheimnis, warum reden Sie erst jetzt darüber?

Pfeiffer:
Ich bin nicht mehr Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN).
Solange ich das war, wollte ich der Institution nicht schaden, indem ich von einem ganz
besonderen Tag erzähle, dem 20. Dezember 2012. Denn einer meiner Gegner wäre der damalige
Staatssekretär des Niedersächsischen Wissenschaftsministeriums gewesen, welches unser
Institut bis heute zum Großteil finanziert. Ganz andere Gegner sind zwei Vertreter der
Kirche, mit der ich mich an jenem Tag endgültig überworfen habe. Heute sind sie
Schlüsselfiguren bei der Aufklärung der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche in
Deutschland. Das ist schon eine kuriose Fügung.

ZEIT:
Sie sprechen von zwei deutschen Bischöfen?

Pfeiffer:
Ja, von Bischof Stephan Ackermann, der damals wie heute der Missbrauchsbeauftragte der
Deutschen Bischofskonferenz ist, und von Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und
Freising, der heute auch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz ist.

ZEIT:
Sie hatten 2011 mit den katholischen Bischöfen, konkret mit dem Verband der Diözesen
Deutschlands (VDD), vereinbart, einen unabhängigen Forschungsbericht zum Missbrauch in der
Kirche von 1945 bis zum Erhebungszeitpunkt anzufertigen. Ein in dieser Größenordnung
einmaliges Vorhaben: Pensionierte Staatsanwälte und Richter sollten Daten aus den Akten der
Kirche erheben, Doktoranden Interviews mit Tätern und Opfern führen. Die Bischöfe haben das
Projekt auch unterstützt, alle waren frohen Mutes.


© Jens Umbach für DIE ZEIT

Pfeiffer:
Ja, am Anfang war alles gut. Wir hatten einen Vertrag und einen Forschungsbeirat, einzelne
Bistümer stellten uns bereits probeweise Akten zur Verfügung, und wir begannen mit der
Sichtung – bis die gemerkt haben, dass wir mit unserem Ansatz nicht nur die weit
zurückliegenden Fälle hätten aufdecken können, sondern auch die in die Gegenwart ragende
Mitverantwortung von Bischöfen, von Diözesen und Verwaltungen.

ZEIT:
Aber schon nach kürzester Zeit hing der Haussegen schief. Womit begannen Ihre Probleme in
der Zusammenarbeit mit der Kirche?

Pfeiffer:
Sie begannen bereits Monate vorher, weil man versuchte, uns zu kontrollieren. Im November
2011 verlangten zwei wichtige Mitglieder des kirchendominierten Beirates, die Generalvikare
Peter Beer von der Erzdiözese München und Freising und Michael Fuchs vom Bistum Regensburg,
der Beirat müsse nachträglich Entscheidungsgewalt über nahezu alle Fragen der
Projektgestaltung erhalten. Er beanspruchte damit die finale Kontrolle der Forschung durch
die Kirche. Herr Beer kündigte ferner an, er würde andernfalls aus dem Beirat ausscheiden.
Wir weigerten uns, und er erschien dann auch nicht mehr. Generalvikar Fuchs schied eine
Sitzung später ebenfalls aus dem Gremium aus.

ZEIT:
Beer und Fuchs standen für zwei der bis heute wichtigsten Diözesen Deutschlands. Womit
haben die beiden ihren Rückzug erklärt?

Pfeiffer:
Sie haben argumentiert, dass wir Wissenschaftler keine Ahnung hätten, wie es in der
katholischen Kirche wirklich abläuft. Dass wir uns von außen an ein Objekt herantasteten,
welches uns fremd sei.

ZEIT:
Ist denn dieses Argument so falsch?

Pfeiffer:
Ja, komplett falsch. Wir sind Profis. Wir wissen, wie man Aktenanalysen macht, wie man
Opfer und Täter interviewt. Von diesen Methoden haben die Kirchenoberen, Bischöfe und ihre
Repräsentanten, keine Ahnung. Ihr Vorschlag war forschungsfeindlich.

ZEIT:
Handelte Beer Ihrem Eindruck nach im Auftrag von Kardinal Marx?

Pfeiffer:
Ich rief damals Kardinal Marx an. Er wollte mit mir nicht über Inhalte diskutieren,
sondern stellte lediglich klar, dass Herr Beer die Erzdiözese vertrete und in seinem Namen
handle.

ZEIT:
Man hat den Eindruck: Je länger das Projekt dauerte, desto mehr Streitpunkte gab es. Etwa
um den Datenschutz für die tatsächlichen oder mutmaßlichen Täter. Und dann war da noch Ihr
Vorhaben einer Tiefenuntersuchung der Täter.

Pfeiffer:
Alles richtig, im Nachhinein aber muss ich sagen, dass der Wendepunkt ein anderer war. Im
Herbst 2011 habe ich vor den Generalvikaren, also den obersten Verwaltungsbeamten aller
Bistümer, einen Vortrag gehalten und bin wohl etwas unvorsichtig gewesen.

ZEIT:
Womit?

Pfeiffer:
Ich habe über eine Studie des John Jay College, New York, gesprochen, die den Missbrauch
durch Priester in den USA untersucht hatte. Danach waren in der Phase des stärksten
Missbrauchs nur fünf Prozent der priesterlichen Täter echte Pädophile. Alle anderen hatten
andere sexuelle Zielobjekte, nämlich Frauen oder Männer, an die sie aber im extrem prüden
Amerika damals nicht rankamen – und sich ersatzweise an Kindern vergingen. Doch besonders
interessant war, warum der Missbrauch in den USA seit den Sechziger- und Siebzigerjahren
drastisch zurückgegangen ist!

ZEIT:
Nämlich?

Pfeiffer:
Der Zeitgeist hatte sich gedreht. Die amerikanische Sexualmoral wurde immer lockerer,
Priester hatten es leichter, Frauen zu erreichen. Homosexualität war vielerorts nicht mehr
strafbar, und schwule Priester konnten einfach in spezielle Kneipen gehen, um Sexpartner zu
finden.

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