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Plastikmüll: Was soll der Mist?

Um hier mal die Dimensionen deutlich zu machen: Ich habe in den
vergangenen Jahren genug bunt bedruckte Baumwollbeutel geschenkt bekommen, um daraus ein Segel
zu nähen, mit dem ich locker den Roten Platz in Moskau beschatten könnte. Mir wurden
ausreichend Schlüsselanhänger und -bänder überreicht, um damit den Berliner Alexanderplatz
einzuzäunen. Die Knetbälle, Luftballons, Figürchen, Stofftiere, Jojos, Kreisel und Handwärmer,
die mir, meinem Mann oder meinen Kindern ungefragt zugesteckt wurden, würden inzwischen sicher
ein Hallenbad füllen. So ungefähr jedenfalls. Ganz genau kann ich das nicht sagen. Denn ich
habe den Kram nicht behalten.

Wenn ich lese, dass inzwischen mehr Müll in den Weltmeeren herumschwimmt als Fische, bin ich nicht überrascht. Ich weiß ja, woher der kommt: auch aus meinem Abfall, aus dem meiner Nachbarn, Freunde und Bekannten. Aus den Mülltonnen von Leuten, die ein paar Kinder haben und sich gelegentlich vor die Tür wagen. Auf Festivals, Konferenzen, Geschäftseröffnungen, Sportveranstaltungen, egal. Überall, zum Jahresende auch beim Metzger und beim Schuster, bekommt man beim Gehen eine Kleinigkeit in die Hand gedrückt, manchmal sogar eine ganze Tüte, gefüllt mit mehr oder weniger sinnvollen Dingen, die mir sagen sollen: Du bist uns wichtig.

Werbegeschenke sind letztlich nichts anderes als ein Bestechungsversuch, der sich als nette Geste tarnt. Man bekommt sie, weil man etwas gekauft hat und als gute Kundin bei der Stange gehalten werden soll. Weil man eine Veranstaltung besucht hat, die einem in guter Erinnerung bleiben soll. Es kann natürlich keiner kontrollieren, was die Leute hinterher mit den Dingen machen, aber die Grundannahme ist: Geschenke befeuern die Freundschaft.

Und das kann tatsächlich klappen. Meine Mutter zum Beispiel hat von dem Mann, der uns früher immer die Eier brachte, vor 40 Jahren an Weihnachten einen Eierpikser bekommen, den sie seither benutzt, um kleine Löcher in Frühstückseier zu stechen, damit sie beim Kochen nicht platzen. Der Eierpikser heißt bei uns zu Hause nur “das geniale Teil von Herrn L.”.

Ich erinnere mich auch an die kleinen mit Kunstseide bespannten Lampions, die mein Bruder und ich einmal beim Chinesen bekamen und die lange wie Trophäen über unseren Betten hingen. Natürlich wollten wir wegen der Lampions immer wieder zum Chinesen, was bei meinem Vater, der Sauer-scharf-Soße nie mochte, zu einer Abwehrreaktion führte, die mir inzwischen sehr vertraut ist. Was fällt euch ein, meine Kinder zu ködern, um mich unter Druck zu setzen?

Dabei waren die Lampions kostbare Preziosen im Vergleich zu dem Dreck, der uns hinterhergeworfen wird, wenn wir heute aus Versehen mal drei Kindermenüs bestellen. Giftfarbene Treppenläufer, gefährlich riechende Glibbertiere, Autos, deren Räder sich nicht drehen. Und wenn erst Besitzerstolz in Kinderaugen aufblitzt, muss ich mit “Das brauchen wir nicht” und “Merkt ihr nicht, wie das stinkt?” nicht mehr kommen.

Unmöglich auch, die Kinder auf Bahnfahrten davon abzuhalten, sich im Bordbistro gegen die vom Schaffner ausgehändigte Kinderfahrkarte einen kleinen, in der Verarbeitung durchaus hochwertigen Plastikzug abzuholen. Denn, Mann, sind die süß! Selbst die Große lässt für Robbie Regio alle Coolness fahren, die die dräuende Pubertät ihr ansonsten verordnet.

Der kleine ICE und seine Freunde sind die Maskottchen der eigentlich großartigen Familienpolitik der Deutschen Bahn, mit der das Unternehmen seit 2012 Leuten mit Kindern signalisiert: Ihr seid uns willkommen. Es gibt Familienabteile, Familienbereiche, ein Unterhaltungsprogramm und eben diese Plastikzüge, die sich, laut Pressestelle, sehr großer Beliebtheit erfreuen.

Bei den Kindern, wohlgemerkt, die natürlich nicht ahnen, dass sie sich hier, wie bei jedem Werbegeschenk, auf einen Deal einlassen: Wenn ihr schon umsonst fahrt, Kinder bis 14 sind bei der Bahn frei, nehmt ihr wenigstens einen Werbeträger mit nach Hause. Und für
einen
Werbeträger hätte ich volles Verständnis, schließlich sind wir oft zu fünft preisgünstig auf zwei Tickets unterwegs. Doch wir bekommen sechs, drei auf der Hinfahrt, drei auf der Rückfahrt. Fünfmal im Jahr mit dem Zug zu Oma fahren bedeutet also 30 Hartplastikzüge, mit denen zu Hause keiner mehr spielt, weil sie nicht in die Spur unserer Holzeisenbahn passen.

Also fliegen sie ein paar Wochen lang in den Ecken herum, bis sie verdreckt und, von einem Kokon aus Wollmäusen umhegt, zusammen mit Glibbertieren und anderem Schnickes in eine Kiste verbannt werden. Dort muss sich jemand ihrer erbarmen, und dieser jemand bin immer ich. Ich mache es nicht gerne, und ich schäme mich dafür.

Ich wohne in Prenzlauer Berg, und Sie wissen, was das bedeutet: wenig Fleisch, und wenn, dann nur bio, keine einfachen Kohlenhydrate, keine Trans-Fette, kein Invertzucker, grundsätzlich keine Massenprodukte und so wenig Plastik wie möglich. Bei uns lernen Kita-Kinder, wie man Verpackungsmüll vermeidet: Leitungswasser trinken, keine eingeschweißten Lebensmittel kaufen, keine Plastiktüten verwenden, den Eltern erklären, dass Coffee to go nur im eigenen Becher okay ist.

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