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EU-Wahl: Wahlen für alle

Heute verhandelt das Bundesverfassungsgericht einen Eilantrag von FDP, Linke und Grünen. Kommt das inklusive Wahlrecht jetzt schon zur EU-Wahl? Und was steht da drin?

EU-Wahl: Paul Ziemiak, Generalsekretär der CDU

Paul Ziemiak, Generalsekretär der CDU
© Michael Kappeler/dpa

Im Januar hat das
Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die bisherige Regelung des Wahlrechts verfassungswidrig
ist. Es schließt über 82.000 Menschen aus. Im März hat der Bundestag einen Antrag von SPD und Union angenommen, der
die Wahlrechtsausschlüsse aufhebt. Das neue inklusive Wahlrecht sollte ab Juli 2019 gelten, jetzt könnte es durch einen Eilantrag beschleunigt werden.

Wer darf in Deutschland wählen und wer nicht?

Grundsätzlich darf in Deutschland jeder wählen, der
mindestens 18 Jahre alt ist, seit mindestens drei Monaten in Deutschland wohnt,
seinen Hauptwohnsitz in Deutschland hat und nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen
ist. Ausgeschlossen sind Menschen, die in allen
Angelegenheiten gesetzlich betreut werden, etwa auch wegen einer Behinderung, und Straftäter, die wegen
Schuldunfähigkeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werden. Das
betrifft mehr als 82.000 Menschen
.

Der Ausschluss ist in Paragraf 13 des Bundeswahlgesetzes für
die Bundestagswahlen festgelegt, ein ähnlicher Paragraf im Europawahlgesetz
regelt den Ausschluss für die Europawahlen. Einige Länder wie etwa
Nordrhein-Westfalen und Bremen haben die Wahlausschlüsse für Landtagswahlen bereits
gestrichen.

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Warum gibt es Einschränkungen beim Wahlrecht?

Für Wahlrechtsausschlüsse braucht es einen wichtigen Grund,
denn sie beeinträchtigen die “Allgemeinheit der Wahl”.  Dieser wichtige Grund ist laut
Verfassungsgericht gegeben, wenn für eine bestimmte Personengruppe die
Möglichkeit zur Teilnahme an dem Kommunikationsprozess zwischen Staatsorganen
und Volk nicht hinreichend besteht. Bisher hat man angenommen, dass den ausgeschlossenen
Personengruppen die notwendigen Fähigkeiten dafür fehlen, sie sich also
beispielsweise nicht selbstständig informieren können. Das ändert sich gerade. “Wir haben ein
normatives Bild vom Wähler: Der Wähler soll selbstbestimmt und entsprechend
seiner politischen Präferenzen wählen mit Blick auf das, was er legitimieren
will”, sagt Wolfgang Löwer, Professor für Öffentliches Recht in Bonn.

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Was spricht für die Ausweitung des Wahlrechts?

Für die Ausweitung des Wahlrechts spricht, dass Menschen
nicht mehr unzulässig vom allgemeinen Wahlrecht ausgeschlossen und wegen ihrer
Behinderung benachteiligt werden. “Das Bundesverfassungsgericht findet die bisherige Lösung zu
pauschal”, so der Jurist Wolfgang Löwer. Denn sie schließt beispielsweise Menschen aus, denen eine
“Betreuung in allen Angelegenheiten” verordnet wurde, obwohl einige davon
tatsächlich die erforderlichen Fähigkeiten besitzen, um an Wahlen
teilzunehmen
. Außerdem gibt es Personengruppen – wie Menschen, die an
Demenz erkrankt sind – die nach bisheriger Auffassung nicht wahlfähig wären,
aber aufgrund einer Vorsorgevollmacht gar nicht gesetzlich betreut werden und
somit wählen dürfen.

Streicht die Regierung die entsprechenden Paragrafen nun, riskiere
sie laut Löwer zwar, dass nicht jede Stimme den gedachten
Legitimationshintergrund habe. “Solche Abwägungen
zwischen Wahlrechtsprinzipien gibt es aber auch sonst. Die Briefwahl fördert
die Allgemeinheit der Wahl, obwohl ihre Geheimheit nicht zu gewährleisten ist.”

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Was spricht gegen die Ausweitung des Wahlrechts?

Gegner der Ausweitung sorgten sich in der Vergangenheit
häufig um den Missbrauch des Wahlrechts. So argumentierte Heinrich Lang,
Professor für Öffentliches Recht in Greifswald, 2016 in einem Forschungsbericht für das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Anders als das Bundesverfassungsgericht im Januar 2019 sah Lang
nämlich keine Pauschalisierung in der bisherigen Handhabung. Die Richter würden
schließlich einzeln prüfen, ob ein Mensch betreut werden soll und in welchen
Bereichen. Wenn in dem Verfahren die Entscheidungsunfähigkeit eines Menschen in
allen Angelegenheiten festgestellt wird, sei auch davon auszugehen, dass die
Person nicht an Wahlen teilnehmen kann, schreibt Lang in dem Bericht. Eine Ausweitung des Wahlrechts würde dazu führen, dass
entscheidungsunfähige Menschen wählten. Und dann bestehe die Gefahr, dass sich
ein Akt der demokratischen Selbstbestimmung in das Gegenteil – nämlich
Fremdbestimmung – wandele.

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Was soll der Eilantrag?

FDP, Linke und Grüne wollen, dass die Wahlausschlüsse schon
zur Europawahl im Mai aufgehoben werden, und haben deshalb einen Eilantrag beim
Bundesverfassungsgericht gestellt. SPD und Union argumentierten jedoch bereits in ihrem Antrag
im März, dass es nicht möglich sei, das inklusive Wahlrecht vor den
Europawahlen am 26. Mai 2019 einzuführen. Die Änderung müsse mit einem
zeitlichen Abstand zur Wahl erfolgen, da sonst in laufende Wahlvorbereitungen
eingegriffen würde.

Das Gericht muss nun feststellen, welche Folgen seine Entscheidung in beiden
Fällen haben würde. Laut Löwer komme es darauf an, ob ein ordnungsmäßiger
Ablauf der Wahl gewährleistet werden könne, wenn jetzt etwa noch in Wahllisten
eingegriffen würde. “Gegebenenfalls ist hinzunehmen, dass erstmals
Wahlberechtigte an dieser Wahl nicht teilnehmen können”, sagt er.

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Wie wählen Menschen, die eingeschränkt sind?

Die Mehrheit der Menschen mit Behinderung darf bereits
wählen und hat ein Recht auf die nötigen Hilfsmittel, etwa Schablonen für
Blinde. Im inklusiven Wahlrecht soll nun zusätzlich eine sogenannte
Assistenzmöglichkeit verankert werden. Wie genau die funktionieren soll, ist
bisher aber nicht weiter ausgeführt.

“Eine Wahlassistenz kann sehr unterschiedlich aussehen, je
nachdem, welche Form der Unterstützung sich die Menschen wünschen.”, sagt
Valentin Aichele von der Monitoring-Stelle der UN-Behindertenrechtskonvention.
Wahlassistenz könne laut Aichele etwa bedeuten, dass eine Person den Wähler mit
in die Wahlkabine begleitet und ihm bei seiner Stimmabgabe hilft.

Dem Antrag zufolge soll auch der Straftatbestand der
Wahlfälschung erweitert werden. Künftig würde dann auch als Wahlfälschung
gelten, wenn ein Wahlassistent eine Stimme entgegen der Entscheidung des
Wahlberechtigten abgibt.

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Kann man feststellen, ob jemand wahlfähig ist?

“Wahlfähig ist, wer Entscheidungen treffen kann und gewisse
kognitive Fähigkeiten besitzt”, sagt Stephan Mühlig, Professor für klinische
Psychologie und Psychotherapie. Das könne sich theoretisch mit Tests feststellen lassen, sei
jedoch mit einem enormen Aufwand verbunden. Die Tests müssten beispielsweise Fragen
zum politischen Geschehen beinhalten.”Aber auch bei der Allgemeinbevölkerung lassen sich da
Lücken finden”, gibt Mühlig zu bedenken, “viele Menschen wissen nicht, wie die
Bundeskanzlerin heißt und werden trotzdem nicht von den Wahlen ausgeschlossen.” Andersherum hat Mühlig in zahlreichen Befragungen
festgestellt, dass viele Menschen, die bisher von den Wahlen ausgeschlossen
wurden, sehr wohl fähig seien, selbstbestimmt zu wählen. 

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