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Margaret Thatcher: Hart im Geben

Als Margaret Thatcher im Mai 1979 in die Downing Street 10 einzog,
erschien dies sofort als eine Zäsur. Die
ZEIT
verglich ihren Amtsantritt mit der
deutschen Währungsreform 1948. Und Franz Josef Strauß erklärte kurzerhand: “Ich bin der
deutsche Thatcher.” Bis heute gilt ihre Wahl als Auftakt einer Wende, die weltweit den Staat
zurückdrängte und die Märkte entfesselte – Vorbild für die einen, Schreckbild für die
anderen.

Dabei startete sie in gleich mehrfacher Hinsicht als Außenseiterin: als Frau, als Kind der
middle class
aus der Provinz, als kompromisslose Marktliberale und als Verfechterin eines Politikstils, der viele verstörte. In all ihren Rollen jedoch setzte sie bleibende Akzente. Heute, in Zeiten des Brexits und des Populismus, ist ihr Erbe gegenwärtiger denn je.

Dass mit Thatcher erstmals eine Frau ein großes Industrieland regierte, war vor 40 Jahren eine Sensation. Der
Spiegel
sprach von einem “Experiment mit der Frau an der Spitze”, die
FAZ
bezeichnete Thatcher als “Matriarch und Symbol femininer Emanzipation”. Viele Clubs der britischen Konservativen waren damals rein männlich, und als Bildungsministerin war Thatcher 1974 noch die einzige Frau im Kabinett. Im Jahr darauf brachte sie es zur Parteivorsitzenden: Ihr Vorgänger Edward Heath war nach zwei Wahlniederlagen nicht mehr tragbar, und die Ministerin erschien plötzlich als prominentester Kandidat.

Thatcher betonte als “Frau an der Spitze” vor allem ihre männlich konnotierten Eigenschaften: Durchsetzungskraft und Härte. Um nicht gefühlskalt zu wirken, gewährte sie vor der Wahl allerdings auch Einblicke in ihr Familienleben, ihre Haushaltsführung und die Gestaltung ihrer Frisur. Volksverbunden verwies sie auf ihre Sparsamkeit als Hausfrau. Dass sie als erste Frau Premier wurde, wollte sie nicht hervorheben. Vielmehr sei sie stolz, als studierte Chemikerin “der erste Naturwissenschaftler” im Amt zu sein.

Dass Thatcher keine direkte Förderin von Frauen war, zeigte sich rasch: In ihr erstes Kabinett nahm sie keine einzige Frau auf, selbst unter den 94 Mitgliedern des erweiterten Regierungskreises mit Staatssekretären waren nur vier. Ebenso blieben Gesetze aus, die Frauen gezielt unterstützten. Dennoch hatte Thatcher eine Vorbildfunktion. Sie zeigte, dass es möglich war, sich in einer Männerwelt zu behaupten. Scheinbar mühelos vereinte sie dabei zwei Rollen: die der berufstätigen Macherin, die sich von Männern nicht einschüchtern ließ, und die der Mutter mit klassischen viktorianischen Familienwerten.

In ihren Umgangsformen war sie auf provozierende Weise unangepasst. Die britische Gesellschaft beruht traditionell auf einer männlich geprägten Konsenskultur, wie sie in Privatschulen, den Colleges in Oxford und Cambridge und den Londoner Clubs eingeübt wurde. Nun brach eine Frau diese Kultur auf: In der Auseinandersetzung mit ihren männlichen Kollegen trat Thatcher kompromisslos auf. Schon kurz nach ihrer Wahl hieß es, jedes Gespräch mit ihr sei “eine harte Partie Tennis” oder wie eine “Lagebesprechung bei einem Bomberkommando”. Auch in internationalen Gesprächen verhandelte sie knallhart, was Staatsmänner wie Helmut Schmidt konsternierte. Ihre Berater und Minister kamen oft kaum zu Wort. Wer einen kompromissorientierten Kurs fuhr, galt ihr als “Weichling” und musste mit Entlassung rechnen. Den Spitznamen “Iron Lady”, den die sowjetische Propaganda ihr bereits 1976 gab, schätzte sie durchaus.

Kapital wusste Thatcher auch aus ihrer Biografie zu schlagen. Die meisten konservativen Politiker stammten damals aus der
upper class.
Nachdem Thatcher ihre Herkunft zunächst verborgen hatte, inszenierte sie sich seit ihrer Wahl zur Tory-Vorsitzenden gern als
grocer’s daughter,
als Tochter eines Lebensmittelhändlers, die selbst noch hinter der Theke gestanden habe. Dass sie sich aus einfachen Verhältnissen hochgearbeitet habe, machte sie zu einem Leitmotiv ihrer Reden, um den Anschein zu vermeiden, sie betreibe als Millionärin eine Politik für Millionäre. Thatchers Vater war freilich kein einfacher Krämer, sondern besaß zwei Geschäfte und war Bürgermeister seiner Heimatstadt Graham. Thatcher selbst gehörte früh zum oberen Establishment, hatte einen Oxford-Abschluss und war mit einem reichen Geschäftsmann verheiratet.

Ihre Wahl zur Premierministerin glückte dank einer Krise, die das Vereinigte Königreich an den Rand des Zusammenbruchs brachte. Anfang 1979 stieg die Inflation, Streiks legten die Müllentsorgung und Krankenhäuser lahm. Die
Times
konnte wegen Konflikten mit den Druckern fast ein ganzes Jahr lang nicht erscheinen, die übrige Presse dramatisierte die Lage durch Fotos und Reportagen, die Großbritannien wie ein Bürgerkriegsland erscheinen ließen. Da die regierende Labour-Partei eng mit den Gewerkschaften verbunden war, schien sie für die Misere verantwortlich – was Thatcher glänzend für sich zu nutzen wusste: Mit Rückendeckung der Boulevardblätter verkündete sie, dass nur eine radikale marktliberale Wende den Kollaps verhindern könne. Populär war auch ihre Forderung nach mehr
law and order
und weniger Einwanderung. Thatcher sei “die Frau, die Großbritannien retten kann”, schrieb die
Daily Mail
kurz vor der Wahl und pries sie als Wegbereiterin des Neoliberalismus – ein Wort, das Thatcher selbst nie benutzte.

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