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Tote können nicht sterben

Man kennt es als Maigret-Fan nur zu gut, das Ambiente des Polizeigebäudes am Pariser Quai des Orfèvres: dunkle Flure, Maigrets Dienstzimmer mit einem Kanonenofen, auf dem Schreibtisch eine Pfeife, leere Biergläser, und der Kommissar „trug wie gewohnt weder ein Jacket noch einen Kragen“. Und kaum ein Tag oder eine Nacht vergeht, „ohne dass dort ein Verrückter, ein Schwärmer, verfolgter Erfinder, Verkünder besserer Zeiten, Antichrist oder wiedererstandener Napoleon auftaucht“, Menschen, die mitunter verkünden, sie hätten gerade jemand umgebracht. So wie auch zu Beginn des Romans „Maigret im Haus der Unruhe“ die junge, blasse Frau im schwarzen Kostüm, die danach sofort wieder verschwindet, als Maigret kurz ans Telefon gerufen wird.

Wer seine 75 Maigret-Romane gelesen hat, wird sich vermutlich wundern: „Maigret im Haus der Unruhe“? Ein Roman, keine Erzählung? Tatsächlich hat Georges Simenon, bevor 1931 mit „Pietr der Lette“ sein offiziell erster Maigret-Roman erschienen war, an der Figur dieses Kommissars schon in mehreren seiner zahlreichen Groschenromane herummodelliert. Der Schweizer Kampa Verlag, der seit einem Jahr die Rechte an Simenons Werken besitzt, veröffentlicht nun gewissermaßen den Ur-Maigret, den 0. Fall, wie es nicht unironisch auf der ersten Seite des Buches heißt, seinerzeit unter Simenons Pseudonym Georges Sim erschienen. (Aus dem Französischen von Thomas Bodmer, mit einem Nachwort von Daniel Kampa, 224 S., 16. 90 €.)

„Zwölf Jahre lang war diese Pfeife seine ständige Begleiterin gewesen”

War Maigret in drei anderen Groschenromanen nurmehr Randfigur, diese keine „echten“ Krimis, so ist er im „Haus der Unruhe“ Hauptfigur und von Beginn an im Einsatz, um den Todesfall zu klären, der ihm von der jungen Frau angekündigt worden war. Ohne Zweifel lässt sich dieser Roman als „offizieller“ Maigret-Roman bezeichnen, als der erste, den Simenon je geschrieben hat, findet sich hier doch fast alles, was die zukünftige Maigret-Romanwelt ausmacht: das Dienstzimmer, die Biere, die selbst die Verdächtigen bekommen, die Kneipe, von der aus Maigret „das Haus der Unruhe“ beobachtet, so wie er das später am liebsten machen soll. Der Inspektor Torrence ist an seiner Seite, der Richter Coméliau tritt auf, auch dass Maigret mit seiner Frau am Boulevard Richard Lenoir wohnt, wird erwähnt. Und wie wichtig Maigret seine Pfeife ist, stellt sich dann heraus, als er sich mit einem Verdächtigen prügelt und die Pfeife zu Bruch geht: „Zwölf Jahre lang war diese Pfeife seine ständige Begleiterin gewesen. Etwa hundert Verhaftungen hatte sie miterlebt.“

Ansonsten besteht der Roman wie die vielen folgenden vor allem aus Dialogen. Dabei hat man hie und da schon noch den Eindruck, dass es dem schwergewichtig-brummigen Kommissar noch an innerer Festigkeit mangelt, er sich bisweilen sehr arg ärgert, eine Idee zu nervös ist. Aber wie er am Ende einen weiteren Toten lange und empathisch betrachtet, so dass man „hätte schwören können, die beiden führten ein geheimnisvolles Gespräch“ – das ist Maigret in früher Bestform.

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