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Deutschkurse: “Die Menschen sind nicht alle lustlos”

Elke Breitenbach (Die Linke) ist Senatorin für Integration, Arbeit und
Soziales in Berlin. Die 58-Jährige leitete die
Integrationsministerkonferenz, die in den vergangenen zwei Tagen in
der deutschen Hauptstadt stattfand. Die Ressortchefs der deutschen
Bundesländer diskutierten vor allem, wie die Sprachkurse für
Flüchtlinge verbessert werden könnten. Weniger als die Hälfte der
Teilnehmerinnen und Teilnehmer besteht laut aktuellen Zahlen der Bundesregierung die
Deutschkurse, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
(Bamf) anbietet – vor zwei Jahren scheiterte nur ein Drittel. Die
Berliner Linke-Politikerin widerspricht im Interview mit ZEIT ONLINE
der These, dass die fehlende Motivation der Flüchtlinge daran schuld sei,
und fordert die Bundesregierung auf, zu handeln.

ZEIT ONLINE: Frau Breitenbach, vor drei Jahren lag die Quote derjenigen, die
durch die Sprachtests des Bamf fallen, bei etwas mehr als einem
Drittel, 2018 lag sie schon bei über der Hälfte. Fehlt den
Flüchtlingen die Lust?

Elke Breitenbach: Nein, ich halte das für fatal, wenn kommuniziert wird, dass die
Menschen keine Lust zu den Kursen hätten. Viele haben mittlerweile einen Beruf oder
machen eine Ausbildung.

ZEIT ONLINE: Aber warum erreichen so viele nicht einmal das B1-Niveau? Das würde bedeuten, sie könnten ein Gespräch aufrechterhalten oder im Alltag ausdrücken, was sie sagen wollen.

Breitenbach: Wir haben jetzt schlicht eine andere Klientel, die in den
Sprachkursen sitzt. Wir kommen an Menschen heran, die haben wir vor
zwei, drei Jahren noch gar nicht erreicht.

ZEIT ONLINE: Was heißt “eine andere Klientel”?

Breitenbach: Vor zwei Jahren hatten wir in den
Sprachkursen etwa zehn Prozent Analphabeten sitzen, heute sind es 30
Prozent. Dazu kommt, dass die Menschen aus dem arabischen Raum
komplett neue Schriftzeichen lernen müssen. Vielen fällt das
wahnsinnig schwer. Ich weiß nicht, wie viel Sprachtalent Sie haben,
aber ich tue mich bei Fremdsprachen sehr schwer. Es ist nicht so
leicht, als Erwachsener eine komplett neue Sprache zu lernen.
Außerdem versuchen wir seit einigen Jahren, stärker an die Frauen zu
kommen, die wir lange nur schwer erreichen konnten. Das klappt ganz gut. Aber
gleichzeitig eine neue Sprache zu lernen und ein Kind großzuziehen, ist eine riesige Herausforderung.

ZEIT ONLINE: Aber wenn über 50 Prozent der Teilnehmer durch die Kurse
fallen, läuft doch etwas schief.

Breitenbach: Ich würde das lieber positiv formulieren: Etwa die Hälfte der
Teilnehmer besteht die Kurse auch. Trotzdem haben wir in den
vergangenen Tagen darüber gesprochen, wie wir die Qualität der
Sprachkurse steigern können. Wir wollen die Sprachkurse modular
gestalten, sodass einzelne Teile wiederholbar sind und die Teilnehmer
nicht sofort den Anschluss verlieren, wenn sie bei einem Thema nicht
mitkommen. Die Kurse sollen außerdem zielgenauer aufeinander
abgestimmt werden. Damit wollen wir aus dieser Frustration kommen.
Die Situation der Frauen habe ich erwähnt: Wenn sich niemand während
des Unterrichts um das Kind kümmern kann, bricht eine Frau so einen
Kurs schnell ab. Wir wollen deshalb Kinderbetreuung – hier in
Berlin machen wir das bereits bei den Kursen, die von uns angeboten
werden.

ZEIT ONLINE: Sie selbst haben das Angebot des Bamf als “nicht
zufriedenstellend”
kritisiert. Was ist das Hauptproblem?

Breitenbach: In den vergangenen Jahren hat sich ein großer Markt an
Sprachkursen entwickelt. Leider gibt es kaum
Qualitätskontrollen.

ZEIT ONLINE: Das Bundesamt für Migration finanziert die Sprachkurse, aber die Anbieter sind meist privat. Pädagogen kritisieren, dass sie oft nur auf ihren Gewinn schauen und nicht auf die Qualität.

Breitenbach: Das Bamf sagt uns immer, dass man ja
kontrolliere, aber das reicht nicht. Wir müssen Mindeststandards schaffen und bessere
Rahmenbedingungen. Die Flüchtlinge sind nicht an allem
selbst schuld.

ZEIT ONLINE: Sie wollen mehr Qualität, gleichzeitig haben Sie gemeinsam mit
ihren Ressortkollegen beschlossen, die Kurse für mehr Menschen zu
öffnen. Migranten sollen auch für berufsbezogene Sprachkurse
zugelassen werden.

Breitenbach: Ja, Flüchtlinge ohne eine sichere Bleibeperspektive dürfen diese
Kurse bislang gar nicht besuchen. Afghanen können in Deutschland
arbeiten oder eine Ausbildung machen, aber bekommen keinen
Sprachkurs. Dadurch gibt es Berufsschulklassen, in denen die Hälfte
der Schüler an einem Kurs teilnehmen darf, die andere Hälfte nicht.
Am Ende bleiben dann zu wenig Schüler übrig, und der Deutschkurs
fällt ganz aus. Das ist doch absurd.

ZEIT ONLINE: Sie warnen davor, dass Deutschland die Zeit wegläuft.

Breitenbach: Je länger die Menschen hier leben, ohne Deutsch zu können, desto
schwieriger wird ihre Integration. Wir wiederholen die Fehler, die wir
schon einmal gemacht haben: Seit Jahrzehnten leben in Deutschland
Menschen, die angeblich nie eine Bleibeperspektive hatten, die haben
hier mittlerweile Kinder und Enkelkinder und nach wie vor nur eine
Duldung. Die durften nicht arbeiten gehen, haben nie Deutsch gelernt,
die wurden ausgegrenzt, und man hat ihnen auch noch gesagt: “Ihr
seid faul – warum arbeitet ihr nicht?”

ZEIT ONLINE: Und das passiert heute wieder?

Breitenbach: Heute dürfen die Menschen
zwar arbeiten, aber sie können oft keine Sprache lernen und werden alleingelassen. Wir sollten aus den
alten Fehlern lernen und sie nicht bei den Menschen wiederholen, die
in den vergangenen Jahren nach Deutschland geflohen sind.

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