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Jordan Bardella : Europäer gegen Europa

Frankreichs Rechte hat einen neuen Star. Wer ist Jordan Bardella? Und was hat er mit Europa vor?

Es ist Europawahlkampf, aber eine Europaflagge schwenkt hier niemand. In einer Mehrzweckhalle in Saint-Ébremond-de-Bonfossé, einem Dorf in der Normandie, präsentiert die rechtspopulistische Partei Rassemblement National, kurz RN, ihren Spitzenkandidaten: Jordan Bardella, 23, frisch rasiert, kurze schwarze Haare, königsblaues Sakko. Hinter der Bühne, in einem Betongang, presst er die Lippen zusammen. Er wartet auf seinen Auftritt.

Electro ballert los. Boooooom. Auf der Bühne stehen drei französische Flaggen, auf der Leinwand ein Porträt mit seinem Namen. Boom, boom, boom. Daneben eine dicke weiße Eins, #onarrive (#wirkommen). Booooooom!

Hunderte jubeln und wedeln mit französischen Fähnchen, die jemand am Eingang verteilt hat. Einige Männer tragen Karohemden, ihre Frauen schweren Schmuck. Von draußen dringt das Trillern ihrer Gegner herein.

Bardella nimmt zwei Stufen auf einmal und springt auf die Bühne: “Seit der Wahl von Emmanuel Macron kann keinem entgangen sein, dass Frankreich dieser Elite egal ist”, ruft Bardella, “dieses Frankreich, das wir lieben und für das wir kämpfen!”

Wenn Ende Mai die Europäer wählen, wird Bardella für den RN ins europäische Parlament einziehen. Laut aktuellen Umfragen sieht es danach aus, dass dessen Fraktion von 37 auf bis zu 67 der 750 Sitze kommen könnte. Erstmals könnte die große Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten keine Mehrheit mehr bekommen. Bardella weiß das und macht in seiner Rede klar, dass er der richtige für den Job in Brüssel ist. Denn ihm ist es ernst mit seinem Vaterland. Auch und gerade hier, in Saint-Ébremond-de-Bonfossé, wo es aussieht, als würden die Bewohner ihre Hecken mit dem Geodreieck stutzen.

Jordan Bardella: Marine Le Pen, Vorsitzende der Partei Rassemblement National, mit Fans beim Wahlkampf

Marine Le Pen, Vorsitzende der Partei Rassemblement National, mit Fans beim Wahlkampf
© Stephanie Füssenich

An der Spitze der jungen Rechten in Frankreich stehen zwei Menschen, die mit den Vorzügen eines offenen Europas aufgewachsen sind: Jordan Bardella und Marion Maréchal. Ihre Biografien könnten gegensätzlicher nicht sein. Bardella hat sich, wie er es darstellt, aus der Pariser Banlieue in die Spitzenpolitik gekämpft. Marion Maréchal wurde in die berühmteste Politiker-Familie des Landes hineingeboren. Sie ist die Enkelin des Parteigründers Jean-Marie Le Pen, die Nichte der RN-Vorsitzenden Marine Le Pen. Maréchal stand im Rampenlicht der Politik, heute hat sie kein Mandat mehr, sondern will eine neue Elite ausbilden. Warum gewinnen junge Rechte in Frankreich immer mehr Macht? Und was haben sie vor mit Europa?

“Hier sitzen die Vergessenen”, ruft Bardella vom Podium. Die Bäckereien auf dem Land würden schließen, die Poststellen, die Schulen. Schuld daran seien der Freihandel, die EU, die unkontrollierte Migration und die Eliten aus Paris. Der Freihandel, weil er die französische Wirtschaft ruiniere. Die EU, weil sie Frankreich daran hindere, eigene Entscheidungen zu treffen. Die unkontrollierte Migration, weil sie den Terror ins Vaterland trage. Und die Eliten aus Paris, weil sie das alles zuließen. Deshalb müssten die Franzosen wieder die Kontrolle über ihr Land gewinnen.


Dieser Text stammt aus dem ZEIT Campus Magazin 3/19. Das aktuelle Heft können Sie am Kiosk oder hier erwerben.

Bardella hält sich am Podium fest. Seine Hände zittern, wenn er die nächste Seite der Rede aufschlägt. Seine Sätze klingen wie die, mit denen Donald Trump die Wahl gewonnen hat und mit denen Nigel Farage in Großbritannien den Brexit herbeiredete. Wie sie, sagt Bardella: “Ich bin, wir sind für euch da.” Seine Anhänger feiern ihn dafür wie einen Popstar. Im Publikum jubeln ihm nicht nur Alte zu, sondern auch Junge. In ihren Instagram-Storys teilen sie Auftritte von Bardella. Laut Umfrage will jeder vierte Franzose unter 35 bei der Europawahl den RN wählen.

Eine von ihnen ist die 17-jährige Awena. Sie und ihre Familie sind mehr als drei Stunden aus Brest angereist. Sie hat sich schick gemacht: Pumps und Perlenohrringe. “Meine Familie wählt schon immer RN”, sagt Awena. Sie finde Bardella toll, weil er neue, frische Ideen in die Partei bringe. Auf die Nachfrage, welche das seien, fällt Awena nichts ein. Ihre Mutter antwortet für sie: “Er steht für die großen Ideen des RN: die Liebe für die Heimat und den Schutz des Vaterlandes.” – “Genau”, sagt Awena. Der RN braucht keine neuen Ideen, um die Jungen zu begeistern. Die alten tun es auch.

Bardella kam erst zum RN, als er etwa so alt war wie Awena heute. Er stammt nicht aus einer wohlhabenden Familie, die seit Generationen die Rechten wählt. In den Sechzigerjahren wanderte die Familie seiner Mutter aus Italien ein. Bardella ist in Drancy groß geworden, einer Banlieue nördlich von Paris. Er tat alles dafür, seine Herkunft hinter sich zu lassen und ging auf eine katholische Privatschule. Das erste Foto, das er bei Facebook likte, war ein Wahlkampfbild von Marine Le Pen. Mit 16 Jahren trat er dem RN bei. “Die Banlieue hat mich politisiert”, sagt er. Und meint damit Gewalt und Drogenhandel. Die Terroranschläge in Paris 2015 hätten ihn endgültig zum Politiker gemacht.

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