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Zentrum für politische Schönheit: Schnelles Verfahren

Am Ende ging alles ganz schnell. Über ein Jahr lang hatte
ein Staatsanwalt in Gera gegen das Künstlerkollektiv Zentrum für Politische
Schönheit (ZPS) ermittelt – wegen der angeblichen Bildung einer kriminellen
Vereinigung. Das war am vergangenen Mittwoch bekannt geworden. Am Montag, nicht einmal eine Woche später,
wurden die Ermittlungen plötzlich eingestellt, der ermittelnde Staatsanwalt
wurde mit anderen Aufgaben betraut und auch von seiner Funktion als
Pressesprecher entbunden.

Dass die
Generalstaatsanwaltschaft Thüringen und die Landesregierung so schnell
reagierten, dürfte mit einer massiven Welle medialer und politischer Kritik
zusammenhängen, die auf das Bekanntwerden der Ermittlungen gefolgt war.
Verschiedene Zeitungen, Juristen und Politiker warfen dem federführenden
Staatsanwalt Martin Zschächner politische Befangenheit vor. Sie kritisierten,
er habe die Künstler wie Mitglieder eines Drogenhändlerrings oder einer
islamistischen Terrorgruppe behandelt. Auch Hinweise auf eine Nähe des
Staatsanwalts zu rechtem Denken tauchten auf: ZEIT ONLINE enthüllte
beispielsweise, dass Zschächner am 1. April 2018, als die Ermittlungen gegen
das ZPS noch liefen, 30 Euro an die AfD gespendet hatte. Der Verwendungszweck:
“Spende fuer die Alternative fuer Deutschland.”

Und die Süddeutsche Zeitung zitierte aus einer
Einstellungsverfügung des Staatsanwalts zu einem Verfahren wegen des Verdachts
der Volksverhetzung gegen einen damaligen Mitarbeiter des AfD-Bundestagsabgeordneten
Stephan Brandner. Damals, im September 2017, hatte Martin Zschächner die
Aussage, “Afros” seien nicht “wie wir”, sondern “Urmenschen”, die “in die
Zivilisation hineingezwungen worden”, als “weder beschimpfend noch
böswillig verächtlich machend” und von der Meinungsfreiheit gedeckt
bezeichnet. Die Akten zu dem Fall liegen diesem Medium auch bereits seit Tagen
vor.
Sogar Medien aus Russland, der Schweiz und der britische Guardian
berichteten über den Fall Zschächner.

Mehrere Dienstaufsichtsbeschwerden

Die Abberufung des Rechts-Staatsanwalts kam zwar plötzlich,
aber nicht überraschend. Nun verdichtet sich das Bild weiter. Denn nach
Recherchen von ZEIT ONLINE liegen der vorgesetzten Generalstaatsanwaltschaft Thüringen
mindestens seit Dezember 2017 mehrere Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Zschächner vor.

Eine stammt von der Rechtsanwältin Kristin Pietrzyk. Bei
einem Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung habe sich Zschächner vor
eineinhalb Jahren keine Mühen gemacht, die Täter zu finden, obwohl Fotos der
mutmaßlichen Beschuldigten vorlagen, heißt es darin; auch Zeugen habe er keine
vernommen und den Fall mit einer skurrilen Begründung eingestellt. Hintergrund
des Falles: Demonstranten einer AfD-Kundgebung in Jena hatten “Eine U-Bahn,
eine U-Bahn bauen wir – von der JG (Junge Gemeinde, Anm. der Red.) bis nach
Auschwitz” skandiert. Die evangelische “Junge Gemeinde” gilt in Jena als
ein linkes Zentrum. Staatsanwalt Zschächner empfand diese Aussage “jedoch weder
unter dem Blickwinkel der Beleidigung noch unter dem Blickwinkel der
Volksverhetzung strafbar”, wie es in seiner Begründung heißt, die ZEIT ONLINE
vorliegt. Vielmehr sei der Satz von der Meinungsfreiheit gedeckt. Die
Anspielung auf das nationalsozialistische Konzentrationslager Auschwitz sei eine
Metapher, ähnlich wie “Waterloo”, argumentiert er weiter. Ein “Bagatellisieren
oder gar Leugnen der Geschehnisse im Vernichtungslager” sehe er nicht.

Berliner Rechtsanwalt erhebt Vorwürfe

Eine zweite Beschwerde liegt dem Thüringer
Generalstaatsanwalt Andreas Becker seit November 2018 vor. Sie stammt vom
Berliner Rechtsanwalt Johannes Eisenberg. Er hat sie am Montag dieser Woche
noch einmal erneuert. Eisenberg wirft Zschächner darin “politisch motivierte
Strafverfolgung bzw. Nicht-Strafverfolgung” vor. Auch diese Beschwerde liegt
ZEIT ONLINE vor. Zschächner sei “fanatisch”, schreibt Eisenberg darin, und
weiter, dass der Staatsanwalt sich von “seinen politischen Vorlieben (…) bei
der Ausübung seiner Tätigkeit leiten” lasse und nicht in der Lage sei, von seinen “Leidenschaften und seiner Parteigängerei
zu abstrahieren”. Außerdem war Anwalt Eisenberg eigenen Angaben zufolge Zeuge
eines Vorfalls, bei dem Zschächner nach einer Gerichtsverhandlung Polizisten
dabei unterstützte, Personalien eines Kameramannes zu kontrollieren, der legale
Aufnahmen auf öffentlichem Grund drehte. Zwei weitere Zeugen bestätigten diesen
Vorfall gegenüber ZEIT ONLINE.

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