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Pubertät: So krass wird’s nie wieder

Jugendliche sind immer online, körperlich frühreif und neuerdings politisch aktiv? Wir fragen, was es für junge Menschen bedeutet, sich heutzutage einen Platz in der Welt zu suchen, und blicken in einem Schwerpunkt auf die wahrscheinlich emotionalste Zeit des Lebens: die Pubertät.

Das menschliche Gehirn ist eine Baustelle, und nie geht es dort chaotischer zu als während der Pubertät, wenn sich Euphorie, Weltschmerz und Liebeskummer abwechseln. Hirnforscherinnen und -forscher wissen, warum: Teile des Gehirns arbeiten bei Jugendlichen schon so effizient wie bei Erwachsenen, etwa solche, die für Bewegungen zuständig sind. Andere Hirnregionen funktionieren noch in so unvollkommener Weise wie bei einem Kind, vor allem solche, die Emotionen und Impulse in Schach halten.

Zudem wird im Hirn Jugendlicher plötzlich viel mehr Dopamin freigesetzt, ein Botenstoff, der Glücksgefühle auslösen kann und Menschen dazu bewegt, nach positiven Erlebnissen zu suchen. Deshalb reagieren Pubertierende so emotional, deshalb suchen sie Risiken und jagen intensiven Erfahrungen nach. Einige versuchen es mit Drogen, Extremsport, Mutproben oder
Kleinkriminalität – andere zocken die Nächte am Rechner durch oder
testen ihre seelischen Grenzen in stetiger Beschäftigung mit den eigenen
Gefühlen aus.

Das Gehirn wird grundsätzlich reorganisiert

Es ist noch nicht lange her, da dachten Wissenschaftlerinnen, das Gehirn sei nach den ersten paar Lebensjahren in seiner Entwicklung nahezu fertig. Vor der Geburt (und kurz danach), so viel ist klar, entstehen zig Milliarden Nervenzellen und wandern, sozusagen im Gänsemarsch, in die verschiedenen Teile des Gehirns, um dort zu lernen, was ihre Funktion ist. In den ersten Lebensmonaten und -jahren sterben dann die Nervenzellen und Verbindungen ab, die nicht gebraucht und benutzt werden, oft sind es fast die Hälfte aller Zellen (zum Beispiel Cerebral Cortex: Abitz et al., 2007). Das bei der Geburt extrem variable Gehirn passt sich radikal an die Umwelt des Kindes an. Alles, was danach geschieht, hielt man lange für Feintuning.

“Inzwischen wissen wir aber, dass in der Pubertät eine grundsätzliche Reorganisation stattfindet”, erklärt Kerstin Konrad, Professorin für Klinische Neuropsychologie an der RWTH Aachen. Große Teile des Gehirns schwellen vor oder während der Pubertät an und werden anschließend wieder kleiner (Nature Neuroscience: Giedd et al., 1999). Das Sterben der Neuronen und der Abbau der Synapsen aus der Kindheit setzen sich weiter fort, die Dicke der Hirnrinde nimmt ab (Journal of Adolescent Health: Giedd et al., 2008) und die Neurotransmittersysteme reifen aus. Gleichzeitig nimmt die weiße Substanz zu: Sie besteht aus kabelgleichen Faserbahnen aus Tausenden von Nervenzellenden, umgeben von dicken Hüllen aus Fett und Protein, die es ermöglichen, dass verschiedene Teile des Gehirns miteinander kommunizieren (Journal of Neuroscience: Perrin et al., 2008). Diese weiße Substanz ist für die Funktion des Gehirns mindestens genauso wichtig wie die graue Substanz, also die Zellkörper der Nervenzellen selbst. Die Adoleszenz ist eine Phase, in der “die Kreisläufe, die sich im Kindesalter entwickelt haben, stabilisiert werden”, wie Beatriz Luna, Professorin für Psychiatrie an der University of Pittsburgh erklärt. Sie ist mitverantwortlich für eine der wenigen neurowissenschaftlichen Langzeitstudien, die bisher mit Heranwachsenden gemacht wurden. Diese Kreisläufe funktionieren umso besser, je mehr Erfahrungen der Mensch macht.

Die Stabilisierung verschiedener Kreisläufe folgt einem typischen Muster. Erst müssen Hirnareale reifen, die grundlegende Funktionen übernehmen: das Erkennen von visuellen Mustern etwa oder das Planen von Bewegungen. Sind diese Areale gereift, produzieren sie ein stabiles Signal, um mit anderen Hirnregionen zu kommunizieren. Das Signal darf man sich wie ein Radiosignal vorstellen, auch wenn es sich um elektrische oder chemische Signale handelt. In einem kindlichen Gehirn versteht man den Radiomoderator zwar, man muss sich aber anstrengen, denn im Hintergrund rauscht es gehörig. Im erwachsenen Gehirn hingegen ist der Moderator gut zu verstehen, das Hintergrundrauschen ist minimal (Neuroscience & Biobehavioral Reviews: Larsen & Luna, 2018). Dass das Rauschen im Laufe der Pubertät abnimmt, liegt auch daran, dass sogenannte Interneurone deutlich aktiver werden, wohl unter dem Einfluss von Sexualhormonen. Interneurone wirken hemmend und vermitteln zwischen Nervenzellen. Dadurch können sich die Nervenzellen besser synchronisieren und erzeugen ein stärkeres und rauscharmes Signal. Das stärkere Signal wiederum fließt in andere Zentren und hilft ihnen, zu reifen.

Schon zu Beginn der Pubertät weitgehend fertig entwickelt sind Hirnareale, die für die erste Verarbeitung von Bildern, Geräuschen und Gerüchen zuständig sind, sowie für das Sprachverständnis. Hirnareale, die besonders viele Verbindungen zu anderen Teilen des Gehirns haben und Informationen bündeln, müssen sich hingegen noch entwickeln. Aber das sind genau die Areale, die höhere kognitive Funktionen erst möglich machen: Pläne schmieden, Emotionen und Impulse kontrollieren oder Entscheidungen treffen, für die man komplexe Möglichkeiten gegeneinander abwägen muss.

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