/“Heidi News”: Nein, das ist kein Witz

“Heidi News”: Nein, das ist kein Witz

Serge Michel ist beunruhigt,
“très inquiet”,
wie er sagt. Die
Hälfte aller Zeitungen, für die der renommierte Journalist aus Yverdon gearbeitet hat, ist
inzwischen verschwunden:
Le Journal de Genève, Le Nouveau Quotidien, L’Hebdo.
Die
Medienvielfalt in der Schweiz nimmt ab, und damit, glaubt Michel, auch die Qualität des
Journalismus: “Die Verleger haben ihr Geld in E-Commerce-Projekte investiert, statt ins
Kerngeschäft.”

Deshalb startet Michel sein eigenes Online-Medium. Am 2. Mai geht es los, die Ziele sind hoch gesteckt:
Heidi News
soll das innovativste Medienprojekt der Schweiz werden. Michel will damit die Landesgrenzen überwinden und für eine globale Leserschaft publizieren. Auf Englisch und Französisch, mit einer international zusammengesetzten Redaktion. “Schweizer Qualität lässt sich exportieren”, sagt er, “das sehen wir bei Uhren und Präzisionsmaschinen. Wieso also nicht beim Journalismus?”

Der Romand Serge Michel ist mit seinen 50 Jahren weder ein Novize noch ein naiver Träumer, sondern einer der bedeutendsten Journalisten der Schweiz. Seine Karriere begann er als Kriegsreporter, wofür er 2001 mit dem Albert-Londres-Preis, dem wichtigsten Journalistenpreis Frankreichs, ausgezeichnet wurde. Später war er stellvertretender Chefredakteur der welschen Tageszeitung
Le Temps,
bevor er nach Paris wechselte, in eine leitende Funktion bei
Le Monde,
dem Flaggschiff der französischen Tagespresse.

Jetzt also
Heidi News.
“Eigentlich war der Name nur als Witz gedacht, als Arbeitstitel”, sagt Michel. “Schließlich behielten wir ihn einfach.” Man könne ihn auch als Abkürzung für HD – High Definition – verstehen. Und darum geht es bei diesem Projekt: Es soll seinen Lesern hintergründige, präzise und verifizierte Informationen liefern. Ganz ähnlich wie das vor einem guten Jahr gestartete Online-Magazin
Republik
aus Zürich. Oder das News-Portal
Quartz
aus New York.

Die Kernredaktion von
Heidi News
sitzt im vornehmen Genfer Vorort Chêne-Bourg in einer ehemaligen Druckerei. Es herrscht Start-up-Stimmung, Michel wirkt eher wie ein Unternehmer als ein alteingesessener Chefredaktor. Statt Hemd trägt er einen edlen Pullover, dazu einen Schal als Accessoire.

Enthusiastisch spricht er von seinen Plänen und erzählt von den geplanten Formaten: mehrteilige Reportagen und thematische Newsfeeds. Gestartet wird mit deren zwei: Gesundheit und Wissenschaft. Die Themensetzung erfolgt aus unternehmerischem Kalkül: “Die Romandie wird dank dem Cern, der ETH Lausanne und verschiedenen Start-ups auch als ›Health Valley‹

bezeichnet”, sagt Michel. In diesen akademischen Kreisen hofft
Heidi News
eine Leserschaft zu finden.

Allerdings versteht sich das Online-Portal nicht als Branchenmagazin, man ziele auf ein breites Publikum. “Themen wie künstliche Intelligenz oder Krebsforschung interessieren schließlich nicht nur Wissenschaftler”, sagt Michel. Alle sechs Monate soll ein neuer Themen-Feed dazukommen und jeweils eine neue Zielgruppe erschließen.

Parallel zu den News will Michel mit großen Multimedia-Reportagen ausgesuchte Themen tiefgreifender behandeln. Aufgeteilt werden die großen Erzählungen in kurze Episoden. “Fast ein bisschen wie bei Netflix”, sagt Michel. Und am Ende jeder Serie will er für seine Leser eine Veranstaltung zum Thema organisieren und alle Texte als Heft drucken lassen. Damit sie etwas in der Hand haben.

“Erkundungen” nennt Serge Michel diese Reportagen-Rubrik. Das 21. Jahrhundert erforschen und erklären, nicht weniger will
Heidi News. So plant er eine Serie über Toiletten, für die ein Reporter um die halbe Welt reist. Sie soll die Evolution der Menschheit anhand einer Geschichte des stillen Örtchens aufzeigen.

Hits: 37