/Familienunternehmen Bahlsen: “Die Angst, ihn zu enttäuschen, ist riesig”

Familienunternehmen Bahlsen: “Die Angst, ihn zu enttäuschen, ist riesig”

Wem Verena Bahlsen die Tür zu ihrer Wohnung in Berlin öffnet, der findet sich in ihrer
großen Wohnküche wieder: Unter hohen Fenstern steht die 26-Jährige hinter einer Kochinsel
und macht Tee, an der Wand hängen Backform und Teigrolle – nur Bahlsen-Kekse sind nirgends
zu entdecken. Auch Werner Michael Bahlsen, ihr Vater und früherer Chef der Keksfirma, hat
keine “Pickups” oder “Ohne Gleichen” zum Interview mitgebracht. Davon abgesehen
unterscheiden sich die beiden sehr: Er siezt höflich, sie duzt sofort freundschaftlich; er
ist zurückhaltend, sie impulsiv. Er ist das alte Gesicht von Bahlsen, sie das neue – er
steht heute dem Verwaltungsrat des Familienunternehmens vor, sie mischt die
Lebensmittelbranche mit einem Start-up namens Herrmann’s auf. Dabei arbeiten die beiden oft
zusammen; und manchmal nennt sie ihn nicht mehr “Papa”, sondern “WMB”, so wie die
Mitarbeiter in Hannover es tun.

ZEIT für Unternehmer: Verena, was ist dein Vater eigentlich für dich – Mentor,
Partner, Chef oder Chefchef?

Verena Bahlsen:
Früher waren die Rollen klar: Er war mein Vater, und für uns
als Mitglieder des Familienunternehmens war er der Chef. Inzwischen ist es –
weird.

ZEIT für Unternehmer: Wie meinst du das: weird, also seltsam?


Familienunternehmen Bahlsen: Dieser Text stammt aus dem Magazin ZEIT für Unternehmer 1/19.

Dieser Text stammt aus dem Magazin ZEIT für Unternehmer 1/19.

Verena Bahlsen:
Die Dynamik hat sich total verändert, seit wir vor vier
Jahren angefangen haben, uns als Familie coachen zu lassen. Erst vorgestern haben wir zusammen
ein Schaubild gemalt. Es zeigt, dass die dritte und die vierte Unternehmergeneration – meine
Eltern und wir, ihre vier Kinder – jetzt auf einer Ebene sind. Werner ist für mich Mentor und
Chef. Und wir sind auch Gesellschafter auf Augenhöhe.

Werner M. Bahlsen:
Verena ist auch eine Mentorin für mich! Sie kann mir
erklären, wie die Digitalisierung die Welt verändert und wie sich die Ernährungsgewohnheiten
wandeln.

Verena Bahlsen:
Ich wiederum habe bis vor vier Jahren nichts von Wirtschaft
und unserem Unternehmen gewusst.

Werner M. Bahlsen:
2014 hattest du nicht mal Lust, zur Jubiläumsfeier zu
kommen!

ZEIT für Unternehmer: Der bekannteste deutsche Kekshersteller wurde 125, und du hattest keine
Lust?

“Alles Alte ist Scheiße, alles Neue muss anders sein.”

Verena Bahlsen, Unternehmerin

Verena Bahlsen:
Ich hatte eine Uni-Klausur und habe nicht gecheckt, wieso
ich für irgendein doofes Event nach Hannover soll. Das Jubiläum war ein wichtiges Ereignis in
der Welt meines Vaters, die zu dem Zeitpunkt noch nicht meine Welt war.


559


Millionen Euro


setzte Bahlsen im Jahr 2017 um (2016: 552 Millionen)

ZEIT für Unternehmer: Herr Bahlsen, haben Sie dann väterlich zugeredet oder chefig Druck
gemacht?

Werner M. Bahlsen:
Eine Mischung aus beidem. Sie ist jedenfalls gekommen und
hat erlebt, was uns ausmacht. Als ich auf der Bühne versprochen habe, dass wir ein
Familienunternehmen bleiben, haben sich 2500 Leute von den Stühlen erhoben und haben
minutenlang applaudiert.

Verena Bahlsen:
Das hat gewirkt. Bis dahin kannte ich so gut wie niemanden
bei Bahlsen und wusste nicht mal, was mein Vater im Büro tut.

ZEIT für Unternehmer: Warum haben Sie Verena diese Innensicht des Unternehmens vorenthalten?

Werner M. Bahlsen:
Meine Frau und ich haben unsere Kinder bewusst nicht für
das Unternehmen erzogen. Sie sollten sich frei entwickeln können, damit es ihnen anders geht
als mir: Ich bin 1975 direkt vom Studium ins Unternehmen gekommen, das war nicht so
prickelnd.

ZEIT für Unternehmer: Nach dem Jubiläum haben Sie Ihre Kinder dann in die Firma geholt?

Werner M. Bahlsen:
Wir haben als Familie eine konstruktive Zusammenarbeit
der Generationen begonnen.

Verena Bahlsen:
Mal mehr, mal weniger konstruktiv. Aber viel konstruktiver
als in seiner Generation.

Werner M. Bahlsen:
Anders als früher fragen wir uns heute gemeinsam: Wo
wollen wir mit Bahlsen hin? Ich habe das erst gar nicht verstanden: Wir haben doch immer davon
gelebt, Kekse herzustellen und zu verkaufen! Im Coaching wurde mir klar: Wir müssen tiefer
graben, um unser sogenanntes Why zu finden.

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