/Die Grünen: Klingt krass, ist aber mehrheitsfähig

Die Grünen: Klingt krass, ist aber mehrheitsfähig

Die Grünen kennen das schon. Kaum stehen sie in Umfragen gut da, kommt garantiert irgendein Parteimitlied und fordert, dass der Liter Benzin fünf Euro kosten müsse, auf Hauptstraßen Tempo 30 gelten solle oder die Deutschen weniger Fleisch essen müssten. Mit den schönen Umfragewerten ist es dann meist vorbei. Haben die Grünen diesen Punkt jetzt wieder erreicht?

Parteichef Robert Habeck nahm am Wochenende das Wort Enteignungen in den Mund und sprach sich dann auch noch für eine Flugbenzinsteuer aus. Gleichzeitig revitalisierte Fraktionschef Anton Hofreiter die alte Wahlkampfforderung nach einem Aus für Verbrennungsmotoren bis 2030. Seitdem schießen Union und FDP aus allen Rohren auf die Ökopartei.

“Die Grünen sind eine im Kern linke Partei”, entsetzte sich der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Er hatte diese simple Wahrheit über seinem jüngsten Techtelmechtel mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann offenbar vergessen. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak erklärte, er sei “fassungslos darüber, dass jetzt die Maske gefallen ist”. Auf diese Grundlage sei keine Zusammenarbeit mit den Grünen möglich. Auch die FDP machte bei Habeck ein “Bröckeln der bürgerlichen Fassade” aus.

Diese Empörungswelle ist wohlfeil. Erstens, weil Habeck anders als teilweise dargestellt keineswegs Enteignungen von Wohnungsunternehmen gefordert hatte, sondern diese lediglich als letztes Mittel im Kampf für bezahlbaren Wohnraum nicht ausschloss. Wann er diesen Punkt gekommen sieht, sagte er wohlweislich nicht.

Zweitens ist offensichtlich, wie interessengeleitet das lautstarke Entsetzen von Union und Liberalen ist. Schließlich haben sich die Grünen zuletzt als einzig verbliebener ernstzunehmender politischer Gegner erwiesen. In den Umfragen sind sie seit Monaten die zweitstärkste Partei, in Bundesländern wie Berlin oder Baden-Württemberg haben sie die Union bereits abgehängt. Geschafft haben sie das nicht nur, indem sie Wähler und Wählerinnen der siechen SPD abwarben, sie konnten zuletzt auch der Union Stimmen abnehmen. Der kommt jetzt die Gelegenheit gerade Recht, die Angst vor linken Ökodiktatoren zu schüren.

Die Stimmung hat sich geändert

Doch wird das diesmal funktionieren? Die gesellschaftliche Stimmung hat sich zuletzt gewandelt. Nachdem jahrelang die Angst vor Zuwanderung und Flüchtlingen die politische Debatte bestimmten, ist jetzt das Umweltthema mit Macht zurückgekehrt. Das zeigt sich nicht nur an den Fridays-for-Future Demonstrationen sondern zum Beispiel auch an dem überraschenden Erfolg des Artenschutzvolksbegehrens in Bayern. Und es ist nicht nur ein deutsches Phänomen: Die Auswertung des Bürgerdialogs, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gerade in Frankreich durchgeführt hat, zeigte: Auch dort steht Klimaschutz bei den Wählern und Wählerinnen ganz oben auf der Agenda.

Ähnlich ist es beim bezahlbaren Wohnraum: Auch hier hat sich in der Vergangenheit viel Frust angestaut, über die Hilflosigkeit der Politik, auf diesem Gebiet echte Verbesserungen zu erreichen. Das schafft Sympathien für harte Forderungen, zumindest als glaubhafte Drohkulisse. Laut einer jüngsten Umfrage unterstützen 49 Prozent der Deutschen Enteignungen, um die Entwicklung am Immobilienmarkt in den Griff zu bekommen. 

Anders als früher könnte es diesmal deswegen schwieriger werden, die grünen Forderungen als radikale Spinnereien dastehen zu lassen. Die Union läuft vielmehr Gefahr, sich gegen eine neue gesellschaftliche Mehrheit zu stellen, die zunehmend begreift, dass Selbstverpflichtungen der Wirtschaft weder für soziale Gerechtigkeit noch für effektiven Klimaschutz sorgen.

Für die Grünen wiederum gilt: Sie dürfen sich keine Angst einjagen lassen. An ihrem Veggieday-Trauma haben sie sich jahrelang abgearbeitet. Das darf nicht noch mal passieren. Stattdessen sollten sie selbstbewusst ihre Positionen erklären. Denn eine Partei, die nur deshalb stark ist, weil keiner so genau weiß, was sie eigentlich will, braucht niemand.

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