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Hambacher Forst: Die Frau ohne Namen

Nach einem Besuch im Hambacher Forst saß eine 23-jährige Australierin monatelang im Gefängnis – und wurde zu einer radikalen Aktivistin.

Die Verhandlung hat begonnen, aber es herrscht Stille im Saal. Der Richter
will, dass die Angeklagte ihren Namen sagt. Sie schweigt, Sekunde um Sekunde. Bis ihr Anwalt
ihr etwas zuflüstert. Da erst antwortet sie dem Richter, ohne ihn anzublicken. Die Antwort
darf hier nicht wiedergegeben werden, das war die Bedingung dafür, dass sie mit der
ZEIT
spricht. Ihre Anonymität ist ihr wichtig, sie ging dafür sogar monatelang ins
Gefängnis.

An einem Freitag im März sitzt sie in Saal 112 des Landgerichts Köln auf der Anklagebank. In
Jogginghose und mit einer Sweatshirt-Jacke, ein kleines Herz ist daraufgedruckt. Sie zieht ihr
linkes Bein zu sich heran, umklammert ihr Knie und stützt ihr Kinn darauf ab. So harmlos die
Frau wirkt, die Taten, die ihr vorgeworfen werden, sind schwerwiegend. Es geht um
Landfriedensbruch und versuchte gefährliche Körperverletzung. Das Gericht hat für die
Verhandlung ungewöhnlich scharfe Sicherheitsvorkehrungen getroffen: 15 Justizbeamte haben sich
vor und im Saal aufgebaut, sie tasten jeden ab, durchsuchen ein zweites Mal Taschen und sogar
Schuhe.

“Ich wollte ein Abenteuer, aber nicht so eines”, hatte sie gesagt, bevor der Prozess
begann.

Festgenommen wurde die junge Frau vor ziemlich genau zwölf Monaten. Im Hambacher Forst, dem
Wald zwischen Köln und Aachen, der von Umweltaktivisten besetzt ist und zur Bühne für den
Protest in Deutschland wurde
. In den Akten wurde sie UP3 genannt – unbekannte Person drei,
weil sie sich weigerte, ihren Namen zu nennen. Inzwischen bezeichnet sie sich selbst so, auch
in diesem Text soll sie so heißen. Während sie vor Gericht an diesem Tag kein Wort mehr sagen
will, war sie bereit, sich in den Monaten vor der Verhandlung mit der
ZEIT
zu treffen
und ihren Fall zu schildern.

Er ist nicht der erste im Zusammenhang mit dem Hambacher Forst. Aber der merkwürdigste. Es
ist der Fall einer 23-jährigen Architektin aus Australien, die sechs Tage in einem deutschen
Wald verbracht hatte und danach sechseinhalb Monate in U-Haft saß. Ein Gericht verurteilte sie
in erster Instanz zu neun Monaten Gefängnis, ohne Bewährung. Unter anderem, weil sie auf einen
Topfdeckel getrommelt haben soll.

“Lustig, wenn es nicht so ernst wäre”, nennt ihr Verteidiger das Urteil. Er hat Berufung
eingelegt, darum steht UP3 an jenem Tag im März wieder vor Gericht, diesmal vor dem
Oberlandesgericht Köln. Dass der Fall so merkwürdig ist, hat allerdings auch viel mit der
Angeklagten selbst zu tun: Eine Australierin, die einen Kurzurlaub machen wollte, ist
hineingeraten in einen erbitterten Kampf um einen Wald und die Zukunft der Klimapolitik.

Oktober 2018, UP3 rührt in einer WG-Küche in Köln-Ehrenfeld mit dem Schneebesen Mehl und
Sojamilch in einer Schüssel zusammen. Vor wenigen Tagen wurde sie vorzeitig aus der U-Haft
entlassen, für den Fall, dass der Berufungsrichter die Strafe reduziert. Nun backt sie mit
drei Bekannten vegane Pfannkuchen. Draußen scheint die Herbstsonne, drinnen kichert UP3
unsicher, während sie von den vergangenen Monaten erzählt. Die beiden rosa Piercings in ihren
Wangen wippen auf und ab.

Wie kommt jemand wie sie in einen besetzten Wald, Tausende Kilometer von der Heimat entfernt?
“Ich habe vom Hambacher Forst auf Twitter gelesen”, erzählt sie. “Von einem Workshop für
Tierschützer, der dort stattfinden sollte.” In Australien setzte sie sich ehrenamtlich für
Tierrechte ein. In Deutschland wollte sie sich die Baumhäuser ansehen und die Aktivisten
kennenlernen. Zehn Tage wollte sie im Hambacher Forst bleiben, der Rückflug war schon gebucht.
Sie war 22 Jahre alt, es war ihre erste Fernreise, der erste Ausflug so weit weg von den
Eltern. Sie hatte gelesen, dass Aktivisten den Wald besetzt hatten, um den Energiekonzern RWE
daran zu hindern, Braunkohle abzubauen. “Aber ich hatte keine Ahnung, was mich im Wald
erwartet.”

Es lässt sich nicht überprüfen, ob UP3 die Wahrheit sagt. Was aber kaum zu übersehen ist,
wenn man mit ihr spricht: Sie passt nicht in das Stereotyp einer politischen Aktivistin, schon
gar nicht in das einer Radikalen. Sie wirkt unsicher, manchmal beinahe albern. Wie jemand, der
selbst noch nicht weiß, in welche Schublade er sich einsortieren soll.

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