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Japan: Ohne Zuwanderung geht es nicht mehr

So schlimm werde es doch nicht werden, versicherte Shinzō Abe. “Mein Kabinett hat nicht die Absicht, eine sogenannte Immigrationspolitik einzuführen. Dieser Linie bleiben wir treu.” Japans Premier führte aus: Es gehe hier bloß um Gastarbeiter, die einige Jahre im Land bleiben und am Ende wieder gehen. “Die Bedingungen sind eine Obergrenze des Aufenthalts und eine grundsätzliche Ablehnung, dass Familien die Arbeiter begleiten.” Doch: Sein Land könne die Augen vor der Realität eben nicht verschließen.

Ein gutes Jahr ist vergangen, seit sich Japans Premier mit diesen
Worten für seine Politik meinte rechtfertigen zu müssen. Inzwischen hat er sich durchgesetzt und nach harten
Grabenkämpfen ein Gesetz durchs Parlament gebracht, das ziemlich genau das
Angekündigte leistet: Unter für die meisten Bewerberinnen und Bewerber strengen Bedingungen wird die
Regierung über die nächsten Jahre Hunderttausende Arbeitskräfte aus dem Ausland
anwerben
.

In Japan ist das trotz allem eine
Sensation. Denn mit den neuen Regelungen geht das alternde Land, dessen
Bevölkerung ob der niedrigen Geburtenrate und bisher geringen Immigration auch
noch in hohem Tempo schrumpft, endlich eines seiner größten Probleme an: den
Rückgang seiner Erwerbsbevölkerung bei zugleich steigendem Bedarf an
Arbeitskräften.

Durch die neuen Visumsbestimmungen können ab sofort Nichtjapaner
mit einfachen Japanischkenntnissen und entsprechender Qualifikation für bis zu
fünf Jahre in einer von 14 Branchen arbeiten. Das betrifft Sektoren wie den
Bau, Altenpflege, Landwirtschaft sowie diverse Dienstleistungsjobs von
Gastronomie über Hotellerie bis zur Supermarktkasse. Die Regierung geht von
47.000 Bewerbern aus, die im ersten Jahr das Visum erhalten. Binnen fünf
Jahren dürfte die Zahl auf bis zu 345.000 steigen.

35 Millionen Senioren

Unter ökonomischen Gesichtspunkten ist so ein Gesetz
lange überfällig. Das seit 2005 anhaltende demografische Schrumpfen hat die
Bevölkerung zuletzt um gut 300.000 Einwohner pro Jahr dezimiert. Wegen der
geringen Kinderzahl schlossen zuletzt auch etwa 300 Schulen im Jahr. Weil die
Arbeitsbevölkerung seit zwei Jahrzehnten abnimmt, leiden laut der Japanischen
Handelskammer zwei Drittel aller Betriebe im Land unter Arbeitskräftemangel. Schon
lange fehlt es zudem an Pflegern, die den Älteren und Gebrechlicheren der
nunmehr 35 Millionen Senioren unter die Arme greifen können.

Einiges wurde schon unternommen, um diese Herausforderungen irgendwie
ohne Zuwanderung zu meistern. Da ist die schrittweise Anhebung des
Pensionsantrittsalters von 60 auf 65 Jahre. Durch ein verbessertes
Kinderbetreuungsangebot versucht die Regierung auch, die häufig mit der
Kindererziehung belasteten Frauen besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Der
Staat fördert auch Forschungsvorhaben, die nach Möglichkeiten zur
Automatisierung von Arbeitsprozessen suchen.

Die neue Öffnung für Ausländer ist also erst der vierte
Hebel, mit dem die Regierung versucht, dem Mangel an Arbeitskräften
entgegenzukommen. Dabei weiß man schon jetzt: Auch mit den neuen
Visumsbestimmungen wird es nicht gelingen, den demografischen Trend aufzuhalten.
Der Staat selbst geht mit seinen eher konservativen Schätzungen davon aus, dass
dreimal so viele Einwanderer nötig wären.

Nur scheint das Anfang April in Kraft getretene Gesetz
die Grenze des Machbaren zu sein. Laut Umfragen steht rund die Hälfte der
Japanerinnen und Japaner einer gelockerten Immigrationspolitik skeptisch gegenüber. Weil die
etablierten Parteien dies genau wissen, ziehen sie auch nicht mit Konzepten für
eine Öffnung in den Wahlkampf. Die lauten Gegner von Abes Gastarbeiterpolitik,
die auch schon mehrere Demonstrationen angezettelt haben, stoßen sich zudem an
der Aussicht, dass ab 2021 die nun eingeführten Regeln noch gelockert werden.
Für wenige besonders erfolgreiche Gastarbeiter sollen die Ausreisepflicht nach
fünf Jahren sowie das Familiennachzugsverbot unter bestimmten Bedingungen dann nicht
mehr gelten.

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