Tausende Menschen protestieren in Berlin gegen steigende Mieten. Viele fürchten, verdrängt zu werden. Was erwarten sie von der Politik? Wir haben mit ihnen gesprochen.
Erika Mann, 75, und Horst Menze, 78, Rentner aus Potsdam:
“Wir sind hier, um zu zeigen, dass wir gegen den Mietwucher sind. Das Geld geht nur noch an die Reichen. Bei uns in Potsdam werden nur noch Wohnungen gebaut für die, die gut betucht sind. Wo sollen denn die anderen hin? Die können doch nicht alle aufs Dorf ziehen, wo es keinen Friseur mehr gibt, keinen Bäcker und keinen Bus. Das ist doch verwerflich. Die Regierung muss einen richtigen Mietenstopp machen! Aber da tut sich zu wenig. Wir wohnen selbst nicht zur Miete. Aber unsere Kinder wohnen in Berlin, die könnten schon bald selbst von Verdrängung bedroht werden. Wir wollen heute solidarisch sein mit denen, die betroffen sind.”
© Julius Betschka für ZEIT Online
Marlies Raymund, 64, Minijobberin aus Pankow:
“Ich wohne seit 40 Jahren in meiner Wohnung, einem alten Bau aus den Vierzigerjahren. Für 49,5 Quadratmeter habe ich einmal 50 Ostmark bezahlt. Das ist natürlich kein Maßstab, das weiß ich. Aber seit 2000 wurde meine Wohnung immer wieder modernisiert, Schlag auf Schlag. Heute zahle ich 505 Euro warm an die Deutsche Wohnen – das geht gerade noch. Im vergangenen Jahr sollte ich aber plötzlich 545 Euro zahlen, dagegen bin ich mit meiner Anwältin vorgegangen. Die ist sehr gut, die hat sich gegen die Deutsche Wohnen durchgesetzt. Diese Profitgier der Investoren muss endlich unterbunden werden von der Politik. Ich werde weiterkämpfen, bis der Sargdeckel zugeht. Nächstes Jahr bin ich wieder hier!”
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Dana E., 37, Berlin-Neukölln, Mitarbeiterin an der Freien Universität Berlin:
“Ich wohne seit 15 Jahren in meiner Wohnung, die ich zum Studium bezogen habe. Ich zahle 380 Euro für 50 Quadratmeter im Hinterhaus, das ist verhältnismäßig günstig. Ich habe bis zum vergangenen Winter eine Kohleheizung gehabt, die Wohnung hat kein Bad. Eine Badewanne habe ich mir selbst in der Küche gebaut. Ich engagiere mich im Künstlerkollektiv Reflektor Neukölln. Wir haben eine Installation mit dem Namen “Die Verdrängten” gebaut. Die Figuren stehen symbolisch für alle, die durch Mieterhöhungen wegen Modernisierung und Eigenbedarf verdrängt wurden. Die eigenen vier Wände sind das Wichtigste, was ein Mensch haben kann. Als Rückzugsort, als Identität. Wenn diese Grundlage wegfällt, kann das ganze Leben bedroht sein. Deshalb sollte Wohnraum kein Spekulationsobjekt mehr sein.”
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Harald Schuster, 54, Sozialarbeiter aus Berlin-Weißensee:
“Ich bin Mieter der Deutsche Wohnen, deshalb bin ich hier. Die haben unsere Wohnungen angeblich klimaneutral modernisiert. Die Miete sollte um 50 Prozent angehoben werden. Ich zahle inzwischen 585 Euro warm, aber da sind die Modernisierungskosten noch gar nicht enthalten. Vor der Modernisierung waren es 400 Euro. Viele Mitmieter sind deshalb ausgezogen. Was mich ärgert: Ich habe ein Jahr Baulärm ertragen müssen. Die Deutsche Wohnen hat mir dafür nur 180 Euro Mietminderung angeboten – für den gesamten Zeitraum. Aber ich bin im Mieterverein, die haben das geprüft: Ich habe ein Recht auf 1.200 Euro. Aber man erreicht bei der Deutsche Wohnen ja niemanden, die haben ewig nicht reagiert. Gestern lag plötzlich ein Schreiben im Briefkasten, in dem sie sich kulant zeigen. Ich glaube, sie haben langsam Angst wegen des Volksbegehrens.”
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Rainer Michalek, 49, und Isa Heller, 29, aus Berlin-Prenzlauer Berg:
“Wir sind mit unserer Tochter Charlotte hier. Sie ist zehn Monate alt, das ist ihre erste Demo. Wir wohnen in einer Sozialwohnung, zahlen für 70 Quadratmeter 700 Euro. Das ist verträglich, aber in zwei Jahren läuft die Sozialbindung aus. Und wir wissen schon jetzt, dass wir aus unserer Zweiraumwohnung niemals ausziehen können, weil wir uns Alternativen nicht leisten können. Ein Kinderzimmer für Charlotte gibt’s also nicht. Wir erleben schon jetzt, was um uns herum passiert: Die alten Kneipen ziehen weg, dafür kommen Touristenfallen. Wir sind die letzten Einheimischen im Kiez. Du siehst da nur noch Leute, die mit ihren fetten Karren kommen und in edlen Dachgeschosswohnungen leben. Wir wollen, dass diese Entwicklung aufhört.”
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Claudia Mensche, 50, Kinderzahnärztin aus Berlin-Prenzlauer Berg mit ihrem Mann David, 47, Buchhändler:
“Wir wurden aus unserer alten Wohnung vertrieben: Am Ende war sie eine einzige Baustelle, Wasser kam durch die Decke, die Fenster wurden von außen zugenagelt. Wir haben drei Kinder, die waren da noch sehr klein. Wir haben versucht, uns mit Händen und Füßen zu wehren, aber wir haben das einfach nicht mehr ausgehalten und sind umgezogen. Jetzt zahlen wir 1.600 Euro warm für 160 Quadratmeter in Prenzlauer Berg. Das ist gerade noch bezahlbar. Aber die Miete macht deutlich mehr als ein Drittel unseres Einkommens aus. Die Mieten müssen endlich gedeckelt werden, damit sie nicht mehr so exorbitant steigen. Bei Geschäftsräumen ist es ja noch schlimmer: David hat für seinen Buchladen 2004 noch 500 Euro Miete gezahlt, heute sind es 4.000 Euro. Das ist kaum noch erträglich.”
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Jürgen Eichhöfer, 63, und Bettina, 55, Lehrer und Personalleiterin aus Berlin-Charlottenburg:
“Seit drei Jahren wird unsere Charlottenburger Wohnung modernisiert. Das sollte ursprünglich nur wenige Monate dauern. Momentan zahlen wir 850 Euro warm, aber es ist absehbar, dass wir da bald wahnsinnig draufpacken müssen. Alles wurde so schlimm, als ein Privatinvestor vor vier Jahren die Wohnung gekauft hat – wir kommunizieren mit ihm nur noch über unseren Anwalt. Die meisten Mieter sind wegen des Stresses schon ausgezogen. Wir waren einmal 30 Parteien im Haus, jetzt sind wir noch acht. Es ist klar, dass wir auch vertrieben werden sollen. Wir werden als hysterisch dargestellt. Aber wir müssen ausharren. Eine neue Wohnung wäre für uns nicht zu bezahlen. Uns ist wichtig, dass Mieter, die pünktlich ihre Miete zahlen, auch mit Respekt behandelt werden.”
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Alexandra Hischer, 36, Erzieherin aus Berlin-Kreuzberg:
“Seit 14 Jahren wohne ich in meiner Kreuzberger Wohnung. Meine Warmmiete beträgt 530 Euro, das ist okay. Aber man bekommt Angst, dass man nie wieder irgendwo eine andere Wohnung findet. Vor einigen Jahren konnte man in Berlin noch hin- und herziehen. Das ist schon lange nicht mehr möglich. Die Politik muss sich deshalb endlich gegen die großen Wohnungsunternehmen durchsetzen. Es passiert zwar schon einiges – die Mietpreisbremse zum Beispiel –, aber das reicht nicht. Ich wünsche mir, dass in zehn Jahren in Berlin wieder jeder dort wohnen kann, wo er möchte.”
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Heiko Großer, 54, leitender Erzieher aus Treptow-Köpenick:
“Für 83 Quadratmeter zahle ich 890 Euro. Das geht gerade noch. Aber ich zahle deutlich mehr als ein Drittel meines Einkommens. Ich bin heute hier, weil ich befürchten muss, dass eine Heuschrecke jetzt auch bei mir bald losschlägt. Es soll saniert werden. Ich stehe vor dem gleichen Problem wie viele andere Tausende, dass ich mir die Wohnung nicht mehr leisten kann. Die Mietpreisbremse nützt gar nichts bislang. Eine Deckelung der Mieten, wie das hier in Berlin diskutiert wird, das wäre der erste Schritt. Der zweite notwendige Schritt ist, die großen Wohnungskonzerne zu enteignen: Wohnen ist ein Menschenrecht, deshalb muss das für alle bezahlbar sein. Es muss Schluss sein mit dieser Unsicherheit: Kann ich mir in fünf, sechs Jahren noch diese Wohnung leisten? Oder fange ich an, mir eine günstigere Wohnung irgendwo am Stadtrand zu suchen?”
© Julius Betschka für ZEIT Online
In Berlin haben am Samstag mehr als zehntausend Menschen für bezahlbaren Wohnraum und gegen Verdrängung demonstriert. Zu der Protestaktion “Gemeinsam gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn” hatte ein Bündnis aufgerufen, dem rund 100 Mieterinitiativen und Verbände angehören. In keiner anderen Stadt sind die Mieten so stark gestiegen wie in Berlin: In den vergangenen zehn Jahren war es ein Plus von mehr als 100 Prozent.
Außerdem startete am Samstag die Unterschriftensammlung für das Volksbegehren der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen. Es fordert den Berliner Senat dazu auf, private Wohnungsgesellschaften mit mehr als 3.000 Wohnungen zu vergesellschaften.
ZEIT ONLINE hat sich unter den Demonstranten am Alexanderplatz umgehört: Wie wohnen sie und was erwarten sie von der Politik?
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