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Wohnungsmarkt: Die Drohung reicht

An diesem Samstag wird die deutsche Hauptstadt vom Sozialismus
heimgesucht. Das zumindest fürchten die Gegner des Berliner Volksbegehrens, das am Wochenende
seinen Anfang nimmt und schon jetzt weit über die Stadt hinaus heftigen Streit erregt. Der
Vorschlag, um den es geht, ist radikal: Immobilienkonzerne mit mehr als 3000 Wohnungen sollen
enteignet werden
– um die Mietpreise zu drosseln.

Tatsächlich haben sich die Mieten in Berlin zwischen 2011 und 2018 fast verdoppelt. Daran sind auch jene schuld, die enteignet werden sollen. Trotzdem spricht erst einmal einiges gegen den radikalen Schritt: Der Berliner Senat müsste die Wohnungskonzerne entschädigen, was laut amtlicher Schätzung mehr als 30 Milliarden Euro kostet. Die Berliner Bevölkerung, die jährlich um Zehntausende Menschen wächst, ist auf neue Wohnungen angewiesen – und damit auch auf Investoren, die diese Wohnungen bauen.

Das wichtigste Argument der Enteignungsgegner lautet: Wer für das Volksbegehren stimme, der schwäche das Vertrauen der Bürger in die Marktwirtschaft. Dabei sind es die großen Wohnungskonzerne, die das Vertrauen in den Markt ruiniert haben. Weil sie vor allem an Renditen denken. Und seltener an ihre Mieter. Ihre Wohnungen in öffentlichen Wohnraum umzuwandeln hieße lediglich, etwas mehr Gerechtigkeit auf dem Immobilienmarkt zu schaffen. Einem Markt, der nicht dem freien Spiel der Kräfte unterliegt, sondern dem Recht des Stärkeren.

Börsennotierte Konzerne kümmern sich mehr um Anleger als um Mieter

Den Bürgern, die das Volksbegehren angestoßen haben, ist mit ihrem Vorschlag etwas gelungen, was Politiker mit Gesetzen wie der Mietpreisbremse nicht gelungen ist: Sie doktern nicht an den Symptomen der misslungenen Wohnungspolitik der vergangenen Jahre herum, also an den hohen Mieten – sie wollen an die Ursachen ran.

Von jedem Euro, der in Berlin in den Wohnungsbau investiert wird, stammten im Jahr 2017 laut einer Branchenstudie 58 Cent aus den Kassen ausländischer Investoren; hinzu kommt ein erheblicher Anteil von deutschen Großkonzernen. Viele dieser Investoren sind börsennotiert, sie kümmern sich eher um ihre Anleger als um die Allgemeinheit – und streichen in Deutschland trotzdem die größten Steuervorteile ein. Selbst Warren Buffett ist mittlerweile in den Berliner Wohnungsmarkt eingestiegen – jener US-Investor, der für Renditen über 20 Prozent bekannt ist. Um die tatsächlich zu erzielen, müssen die Mieten explodieren, es geht gar nicht anders.

Das Volksbegehren, über das am Samstag abgestimmt wird, zeigt, wie kaputt der Immobilienstandort Deutschland ist: Vielerorts ist er kein funktionierender Markt, sondern ein Casino, in dem Spekulanten und institutionelle Investoren mit Wohnungen zocken wie mit Öl oder Gold. Nicht bloß in Berlin, sondern in Dutzenden großen und kleinen Städten. Nur kann man es in der Hauptstadt besser sehen als anderswo: weil die Mieten dort rasanter steigen. Und weil die Menschen oft ärmer sind. In Berlin leben 18 Prozent der Bevölkerung von Mindestsicherung. Der Anteil der Sozialwohnungen liegt bei 13 Prozent. Wer möchte, dass dort auch Menschen ein Zuhause finden, die mittelmäßig oder schlecht verdienen, der muss bauen. Und den Anteil öffentlich geförderter Wohnungen erhöhen.

Wer jetzt um das Recht auf Eigentum fürchten sollte, kann sich entspannen: Am Ende wird das Gesetz zur Enteignung von Wohnungskonzernen nicht kommen – zumindest spricht zurzeit kaum etwas dafür. Wenn die Berliner für den Volksentscheid und für die Enteignung stimmen, müsste der Senat zunächst prüfen, ob das verfassungskonform ist. Und sicherstellen, dass der Haushalt nicht über die Maßen belastet wird. Weil die Entschädigungssummen horrend sind und weil Berlin bald eine Schuldenbremse einführt, dürfte das schwierig werden. Und: Ein Großteil der Berliner Regierung will die Enteignung nicht, Bürgermeister Michael Müller ist dagegen. Schaut man auf die Mehrheit derer, die es am Ende entscheiden werden, ist eines klar: Niemand hat die Absicht, eine Firma zu enteignen.

So gesehen ist das Volksbegehren eine kluge politische Drohung, mehr nicht. Aber eine, die wirkt, und zwar schon jetzt: Mitten im Streit um das Volksbegehren hat Berlins Bürgermeister angekündigt, einstige landeseigene Wohnungen zurückzukaufen – von einem jener Konzerne, die die Befürworter des Volksbegehrens gern enteignen wollen.

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