/Laura Wiesböck: Ein Angriff auf die Armen

Laura Wiesböck: Ein Angriff auf die Armen

DIE ZEIT:
Die Regierung hat in den vergangenen Monaten die Indexierung der Familienbeihilfe
beschlossen, die Mindestsicherung soll gekürzt werden, zuletzt kam der Vorschlag, dass
Asylwerber für Hilfsarbeiten nur noch 1,50 Euro pro Stunde bekommen sollen. Erkennen Sie ein
Muster?

Laura Wiesböck: Es hat den Anschein, als ob für gewisse soziale Gruppen in Österreich eine
Zwangspauperisierung vorgesehen ist  …

ZEIT:
… eine erzwungene Verelendung?

Wiesböck:
Sozusagen. Im aktuellen Entwurf der Mindestsicherung gibt es dafür Hinweise.
Armutsbetroffene sind darin nicht alle gleich viel wert. Asylberechtigte mit unzureichenden
Deutschkenntnissen sollen 300 Euro weniger erhalten. Das widerspricht dem
Gleichbehandlungsgrundsatz. Zudem muss geprüft werden, ob das Gesetz nicht dem
bundesstaatlichen Prinzip entgegensteht. Die vom Bund gekürzten Leistungen sollen nämlich
von den Ländern nicht ausgeglichen werden dürfen.

ZEIT:
Geht es unterm Strich darum: Wir gegen die anderen, Österreicher gegen Zugewanderte?

Wiesböck:
In vielen Bereichen kann man dieses Muster erkennen, vor allem auf der diskursiven Ebene.
Aber auch bei den Maßnahmen selbst wie dem Familienbonus, der ab dem dritten Kind reduziert
werden soll. Das wird nicht offen artikuliert, aber es ist eine statistische Tatsache, dass
kinderreiche Familien eher Migrationshintergrund haben. Es wird in jedem Fall aber auch
Österreicher treffen.

ZEIT:
Gibt es Gruppen, die mehr wert sind als andere?

Wiesböck:
Die Wertigkeit innerhalb der Gesellschaft definiert sich in diesen Maßnahmen über die
volkswirtschaftliche Produktivität. Das wohlfahrtsstaatliche Prinzip der Umverteilung wird
ad absurdum geführt, weil die Maxime vertreten wird, man solle maximal das herausbekommen,
was man eingezahlt hat, wie bei einer individuellen Versicherung. Die Logik des Markts
dringt also auch in gesellschaftliche Sphären ein, die auf Basis des Solidaritätsprinzips
entstanden sind.

ZEIT:
Geht es der Regierung um einen Umbau des Sozialstaates?

Wiesböck:
Es gibt einen Widerspruch darin, was von der Regierung formuliert wird und welche
Konsequenzen daraus gezogen werden. Es wird immer wieder – richtigerweise – betont, dass
sich Leistung lohnen muss. Als Konsequenz sehen wir allerdings überwiegend Kürzungen im
unteren Bereich. Es wird nicht über die 300.000 Menschen gesprochen, die 40 Stunden arbeiten
und unter der Armutsgefährdungsschwelle liegen. Für diese Working Poor schützt ein
Vollzeitjob nicht mehr vor Armut. Es wird nicht über eine Vermögenssteuer gesprochen, obwohl
diese in Österreich so gering ausfallen wie in kaum einem anderen Industriestaat.
Erbschaften und Schenkungen sind leistungslose Vermögenstransfers, die der Gerechtigkeit für
“arbeitende Leistungsträger” entgegenstehen. Es gebe also sehr viele Bereiche, um Leistung
wirklich wieder lohnenswert zu machen, die nicht in Angriff genommen, nicht einmal
diskutiert werden. Der Fokus liegt auf Kürzungen in weniger privilegierten Milieus.

ZEIT:
Sollen die von den Kürzungen Betroffenen zu Almosenempfängern degradiert werden?

Wiesböck:
Diese Tendenz zeigt sich schon in der wiedereingeführten Wortwahl “Sozialhilfe”. Der
Begriff “soziale Hängematte” wird etwa für Leistungen benutzt, mit denen man zum Teil nicht
überleben kann. Die Grundsicherung für Asylwerber in Wien liegt bei 365 Euro, das wurde
vergangenen Sonntag in einer ORF-Fernsehdiskussion als “Milch und Honig” bezeichnet.
Rhetoriken wie diese zielen darauf ab, Menschen in eine Bittstellerposition zu bringen. Der
öffentliche Diskurs rund um das Thema Armut wird immer stärker zu einer moralischen
Wertigkeitsprüfung.

ZEIT:
Welches politische Konzept steckt dahinter?

Wiesböck:
Es geht darum, auf Kosten von Schwächeren ideologische Erfolge zu erzielen, indem
bestimmten Gruppen eine parasitäre Absicht bis hin zu einer kriminellen Grundhaltung
zugeschrieben wird. Das bleibt nicht ohne Auswirkung. Österreicher fühlen sich stark von
Kriminalität und Gewalt bedroht, obwohl sie in einem der sichersten Länder der Welt
leben.

ZEIT:
Was Sie beschreiben, wäre bösartig …

Wiesböck:
Wertfrei formuliert, würde ich sagen: strategisch.

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