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Radfahren: Der holländische Trick, der Leben rettet

Dreh! Dich! Um! Das ist die goldene Regel beim Aussteigen aus dem Auto. Egal, ob jemand vorne oder hinten sitzt, auf der Fahrer- oder auf der Beifahrerseite. Wer eine Autotür öffnet, schaut in die Spiegel und nach hinten über die Schulter. Nur so kann man ausschließen, dass sich kein Fahrrad, kein Roller oder ein anderes Auto nähert. Total simpel. Zumindest in der Theorie. 

In der Praxis sind Autofahrerinnen und Autofahrer: gestresst, von ihrem Handy abgelenkt, unachtsam, in Eile. Regelmäßig vergessen sie den Schulterblick. Das ist nicht nur für sie selbst gefährlich, sondern vor allem für Radfahrerinnen und Radfahrer: Immer wieder werden ihnen Autotüren, die sich plötzlich öffnen, zum Verhängnis.

In so einem Fall haben Radfahrer häufig keine Chance mehr, auszuweichen oder rechtzeitig zu bremsen. Sie fallen vom Fahrrad oder knallen gegen die Tür, deren Kante sich auch noch in etwa auf Kopfhöhe befindet. “Dooring” heißt diese Art Unfall. Sie macht hierzulande zwar nur einen kleinen Teil aller Fahrrad-Unfälle aus – etwa 3 Prozent, schätzten Unfallforscher von der Medizinischen Hochschule Hannover im Jahr 2015 durch eine Hochrechnung der tatsächlichen Unfallzahlen in Dresden und Hannover. Doch oft genug endet die Kollision von Autotür und Radfahrerin tödlich: Mehr als 20 Menschen kommen bei solchen Unfällen jedes Jahr ums Leben. Etwa 290 jährlich werden schwer und 2.000 leicht verletzt.

Allein in Berlin starben in den vergangenen beiden Jahren vier Radfahrer durch Dooring-Unfälle. Dabei wären diese Kollisionen einfach zu verhindern gewesen. Wenn schon nicht damit, dass sich Menschen beim Aussteigen aus dem Auto bewusst umdrehen, dann wenigstens mit dem sogenannten holländischen Griff. Mit Tausenden Aufklebern und Infomaterialien wirbt die Berliner Senatsverwaltung seit vergangenem Jahr dafür, sich diesen Griff anzugewöhnen. Holländisch die Tür zu öffnen, bedeutet lediglich: Nimm beim Aussteigen die rechte Hand, um die Fahrertür zu öffnen. Und die linke Hand, um die Beifahrertür zu öffnen.

Nie wieder den Schulterblick vergessen

Diese kleine Verhaltensänderung, ein klassisches Beispiel für das, was Verhaltensökonomen einen nudge, einen Schubs, nennen, könnte Leben retten. Denn wer mit der weiter entfernten Hand die Tür öffnet, muss nicht mehr an den Schulterblick denken. Der Oberkörper dreht sich bei dieser Bewegung automatisch zur Seite – und damit in den Schulterblick hinein. Auch wenn es keine Studien gibt, die gezielt untersucht haben, ob der holländische Griff Unfälle verhindert, merkt jeder, der ihn sich angewöhnt: Wenn alle so aus dem Auto aussteigen würden, dann könnten Dooring-Unfälle bald der Vergangenheit angehören.

Der holländische Griff stammt – anders als sein Name, der eine amerikanische Erfindung ist – tatsächlich aus den fahrradfreundlichen Niederlanden. Dort lernen Fahrschüler seit mehreren Jahrzehnten, auf diese Weise die Autotür zu öffnen. Kinder wiederum schauen sich bei ihren Eltern ab, wie diese aus dem Auto steigen. Für viele Niederländerinnen – nicht für alle – ist es ganz selbstverständlich, mit der weiter entfernten Hand die Autotür zu öffnen. “Wir schätzen, dass etwa die Hälfte aller Fahrlehrer in den Niederlanden diese Methode unterrichten,” sagt Martijn van Es. Er arbeitet für den Fietsersbond, der die Interessen der Radfahrer in den Niederlanden vertritt. Den holländischen Griff habe er selbst allerdings nicht in der Fahrschule gelernt, erzählt van Es.

Verpflichtend ist der holländische Griff in den Niederlanden nicht, weder in der Fahrschule noch in der Fahrprüfung und erst recht nicht im Straßenverkehr. Wer ihn erfunden oder als Erstes unterrichtet hat, ist unklar. Vermutlich lernen ihn Fahrschülerinnen seit Anfang der 1970er-Jahre. Damals waren die Niederlande noch nicht das Fahrradfahrer-Paradies, als das sie heute bekannt sind. Im Gegenteil: Radfahren war noch ziemlich gefährlich. 

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