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EU-Austritt: Europa braucht Klarheit über den Brexit

Die
Brexit-Entscheidung steht wieder einmal auf der Kippe. Alle halten erneut die Luft an und warten, ob die Abgeordneten im britischen Parlament sich nun endlich einigen können. Theresa May hat gerade um eine Verlängerung bis zum 30. Juni gebeten. Doch die kontinentaleuropäischen Politiker sind uneins, wie sie mit Großbritannien
umgehen und ob sie Mays Bitte nachkommen sollen. Sollen sie hart bleiben, in der Hoffnung, dadurch nicht noch mehr
Glaubwürdigkeit zu verlieren und Schaden abzuwenden? Oder sollen sie den Briten
weiter entgegenkommen?

Der über die vergangenen zwei Jahre ausgehandelte Deal
ist gescheitert, und es ist an der Zeit, sich das einzugestehen. Die EU konnte die
Konditionen diktieren, sie hat viele wichtige und richtige Bedingungen
durchgesetzt – dass die vier Freiheiten des Europäischen Binnenmarkts unverhandelbar sind, dass
Friede und Sicherheit auf der irischen Insel nicht geopfert werden, und dass
Großbritannien zu seinem Wort steht und auch seine versprochenen Beiträge
entrichten muss.

Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass ein Abkommen
ausgehandelt wurde, das für das britische Parlament und letztlich auch für die
Bürgerinnen und Bürger Großbritanniens nicht akzeptabel ist. Es gibt also
keinen Grund, die Verhandlungen der EU als Erfolg anzusehen. Bei so wichtigen Abkommen gibt es entweder nur Gewinner oder nur Verlierer.
Deshalb ist das Scheitern des britischen Parlaments letztlich auch ein
europäisches Scheitern.

Drei mögliche Wege

Drei Optionen sind jetzt noch offen. Die erste, dass Theresa May das Abkommen nach drei
dicken Niederlagen nun doch noch durch Erpressung durch das britische Parlament
prügelt, wäre keine gute Lösung. Zwar würde vielen in Großbritannien und auf dem
Kontinent ein Stein vom Herzen fallen. Das Brexit-Drama wäre vorerst beendet. Aber das würde überall einen bitteren Beigeschmack hinterlassen. Das Ergebnis wäre ein fauler
Kompromiss – und keine gute Grundlage für ein auf lange Sicht vertrauensvolles
Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU.

Die zweite
Option ist ein weicherer Brexit, den die britische Premierministerin nun mit
dem Oppositionsführer Corbyn auszuhandeln
versucht. Das könnte eine Zollunion
oder gar eine Mitgliedschaft im Binnenmarkt beinhalten und wäre zumindest
wirtschaftlich für alle Seiten die deutlich bessere Option. Es besteht aber die Gefahr, dass sich die Verhandlungen wieder einmal lange hinziehen könnten. Das würde viel politische und wirtschaftliche
Unsicherheit schaffen.

Die europäischen Regierungschefs sollten deshalb auf ihrem
Treffen am 10. April zwei Bedingungen setzen: Die Briten müssen an den Europawahlen
Ende Mai teilnehmen, und das Abkommen muss bis Ende Juni 2019 vorliegen, so wie nun von Theresa May angefragt. Das ist zeitlich ehrgeizig, aber machbar. Es würde sicherstellen, dass bei
einem erneuten Scheitern und einem harten Brexit die europäische Demokratie
keinen weiteren Schaden nimmt und das neue Europäische Parlament Anfang Juli
auch ohne britische Abgeordnete seine Arbeit aufnehmen kann.

Die dritte
Option ist ein harter Brexit, also ein Ausscheiden der Briten aus der EU ohne
eine Übergangsphase, und ohne die Grundlage für das bilaterale Verhältnis
geklärt zu haben. Es wäre ein politischer Albtraum, vor allem für
Großbritannien, denn die Briten müssten sofort eigene Gerichte und
Institutionen schaffen, die Regulierung, Aufsicht und Aktivitäten übernehmen, die
bisher von EU-Institutionen verantwortet wurden.

Die größte
Sorge vieler ist, dass dies einen großen wirtschaftlichen Schaden anrichten
könnte, da der reibungslose Handel von Gütern und Dienstleistungen nicht
gewährleistet wäre. Die Sorge ist verständlich, aber sie ist mit
hoher Wahrscheinlichkeit übertrieben. Es gibt gute Gründe, wieso die
wirtschaftlichen Kosten eines harten Brexits begrenzt wären: Die Parlamente in London und Brüssel verfügen bereits über Vorlagen für bilaterale
Abkommen, um größere Probleme in diesem Fall zu verhindern. Und
die Kosten eines weiteren Aufschubs wären noch höher.

Am teuersten ist die Unsicherheit

Zweifelsohne
würde ein harter Brexit den Briten langfristig einen hohen Preis abverlangen.
Für Deutschland und andere Volkswirtschaften auf dem Kontinent sollten die
wirtschaftlichen Kosten jedoch beschränkt sein, da man kurzfristig
Unterbrechungen in den Handelsbeziehungen vermeiden und langfristig
Produktionsprozesse und Abläufe anpassen könnte, um einen permanenten Schaden zu
minimieren.

Die
deutsche und die europäische Wirtschaft schwächeln bereits jetzt, auch des
Brexits wegen. Das Problem der meisten Unternehmen und der Finanzmärkte ist
jedoch weniger der Brexit an sich als die enorme Unsicherheit, wann und wie
dieser stattfinden wird. Die meisten Unternehmen können sich dagegen nicht wappnen. Sie können ihre Lieferketten oder Absatzmärkte nicht
umstellen, solange sie nicht wissen, was der Brexit bedeuten wird. Das ist Gift, nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die
dringend notwendigen Reformen der EU.

Daher
gilt: Besser ein Ende mit Schrecken als eine lang anhaltende Unsicherheit über
die Zukunft Großbritanniens in der EU. Die EU sollte Großbritannien weiterhin
entgegenkommen
und den Briten einen weichen Brexit oder, noch besser, einen Verbleib
in der EU schmackhaft machen. Aber sie muss nun endlich für Klarheit sorgen,
denn das größte wirtschaftliche und politische Risiko ist eine Hängepartie und
eine weitere Starre Europas.

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