/Emil Nolde: Mal doch selber, Merkel!

Emil Nolde: Mal doch selber, Merkel!

Bei Gerhard Schröder war noch was los im Kanzleramt. Auf der Leinwand hinter seinem Schreibtisch stürzte – provokant, provokant – ein von Georg Baselitz gemalter Adler ab, und als 2007, nach Ende seiner Amtszeit, ein Porträt für die Galerie hermusste, malte Jörg Immendorff Schröder als goldene Ikone. Immendorff war dreieinhalb Jahre zuvor bei einem Prostituierten- und Koks-Exzess erwischt worden. Man mag sich gar nicht ausmalen, was das heute für Twitter-Debatten gäbe.

Merkel, deren Kunstsinn gerade zu Beginn ihrer Ära oft zu ihren Ungunsten mit demjenigen Schröders verglichen wurde (im Sinne von: Sie hat halt keinen), hielt sich Zeit ihres Amtes eher bedeckt in Sachen Ästhetik. Dass sie Schröders Baselitz-Adler rausschaffen ließ und Werke von Emil Nolde bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz orderte, dass bei ihr zuletzt der Blumengarten (Thersens Haus) von 1915 und der Brecher von 1936 hingen, passte ins – haha – Bild. Nicht zu viel Aufsehen und Aufhebens, ein bisschen Landschaft und Natur, etwas gewaltig, etwas behaglich, die bildgewordene Kartoffelsuppe an der Wand vor den Staatsgästen. Und auch das: etwas Heimat, aber von einem toten Maler, dessen Kunst im Dritten Reich bei der berüchtigten Ausstellung von 1937 als “entartet” geadelt wurde.

Nun outet die Ausstellung Emil Nolde – Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus ab 12. April in der Berliner Kunsthalle Hamburger Bahnhof den Maler als ausdauernd großen Verehrer Adolf Hitlers. Damit widerlegt sie die lange Zeit gängige und zuletzt schon mehr als brüchige Erzählung von Nolde als am Ende annähernd widerständlerischem inneren Emigranten noch einmal nachhaltig. Kurz gesagt: Die Abneigung, die die Nazis gegen Nolde und seinen Expressionismus hatten, beruhte nicht auf Gegenseitigkeit – worunter der Künstler durchaus litt.

Wer schiebt da wem den brauen Emil zu?

Teil dieser Ausstellung ist auch der Brecher aus Merkels Amtszimmer, weshalb es derzeit etwas Verwirrung gibt, wer die treibende Kraft hinter der dauerhaften Rückgabe beider (!) Bilder aus dem Kanzleramt an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist: Denn während die FAZ meldet, dass die nur das eine Bild und nur vorübergehend für die Ausstellung zurückhaben wollte, behauptete das Bundespresseamt zuletzt, die dauerhafte Rückgabe von Brecher und Blumengarten geschehe auf Bitten der Stiftung. 

Statt der Frage, wer da nun wem den braunen Emil zuschieben will, interessiert hier aber eine größere: Wessen Bilder soll man überhaupt noch aufhängen, zumal im Zentrum der Macht? Explizit dissidentische Künstler aus der Zeit des NS-Regimes oder Werke aus benachteiligten Winkeln der Welt scheiden aus – nachher kommt die zwischenzeitlich erstarkte Provenienzforschung und belegt bis dato ungeahnte Ansprüche. Und lebende Künstler bergen immer die Gefahr des Skandals (Immendorff) oder des plötzlichen politischen Irrgangs. Man denke nur, Uwe Tellkamp wäre Maler!

Ästhetische Identifikation ist risikoreich geworden

In Zeiten, in denen Identitäten und Identitätspolitik eine neue Bedeutung erlangt haben, ist ästhetische Identifikation risikoreich geworden. Künstlerische Werke werden immer seltener von Gesinnung und Taten ihrer Schöpfer losgelöst betrachtet, und Vorwürfe gegen die Person des Künstlers und seinen Lebenswandel beeinflussen auch die Rezeption seines Werkes nachhaltig. Dumm steht da, wer sich zweifelsfrei zu beiden bekannt hat. Denn wenn er oder sie das Bild hektisch abhängt, das Gedicht übermalt oder den lange geplanten Konzertbesuch absagt, werden die einen rufen, dies sei ein Einknicken vor krawalligen Interessengruppen und ein Anschlag auf die Freiheit der Kunst. Hängt man nichts ab, werden die anderen, die sich von Werk oder Schöpfer verletzt fühlen, mangelnden Respekt beklagen.

Indem Merkel die Noldes nun gegen zwei Bilder von dessen Zeitgenossen Karl Schmitt-Rotluff ausgetauscht hat, löst sie das Problem nur halbherzig. Denn wer nicht falsch identifiziert werden möchte oder mit Leuten, die sich als falsch herausstellen, muss die Kunst des eigenen Vertrauens schon von solchen produzieren lassen, mit denen er oder sie zweifelsfrei und zeitlebens identisch ist. 

Dies ist in einer Epoche immer neuer und ungeahnter gesellschaftlicher Bruchlinien sowie neuer historischer Forschungserkenntnisse eigentlich nur noch die eigene Person. Da mit dem Boom der Identität zugleich einhergeht, dass das Authentische vielen im Zweifel bedeutsamer ist als Kunstfertigkeit und Originalität, müssen Machthaber auch ihr eventuell mangelndes Talent nicht fürchten, wenn sie also selbst zum Pinsel greifen. Eine echte Merkel im Merkel-Zimmer kann nur gut werden. Und blühende Landschaftsmalerei ist ja letztlich auch nur eine Fortführung ihrer Arbeit mit anderen Mitteln.

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