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Alkohol: Heute keine Ladies Night

“Was wollt ihr: Rot, Weiß, Sekt oder was Gemixtes?”, fragt eine Freundin, bei der ich auf einen “Mädelsabend” eingeladen bin. Wir sind zehn Frauen, Mitte bis Ende zwanzig, alle studieren oder arbeiten. Ein paar kenne ich schon sehr lange, einige sind neu. Man kommt schnell ins Gespräch, die Atmosphäre ist entspannt. Nachdem alle noch mal nachgeschenkt bekommen haben, verlassen wir in unseren Jacken die Wohnung. Quetschen uns zu zehnt in den Fahrstuhl, um auf die Dachterrasse zu fahren. “Wir wiegen ja jede 50 Kilo, ne?”, sagt eine mit Blick auf die Angabe des Maximalgewichts im Fahrstuhl. “Alter, so viel wiegt mein Hintern allein”, ist die Antwort aus der anderen Ecke. Gefolgt von zustimmendem Lachen. Ich überlege, was Männer so unter sich reden. Aber unsere Gruppe erfüllt auf jeden Fall ihr Klischee: Rumprollen, derbe Witze und Saufen – das können wir auch. Oben auf der Dachterrasse stoßen wir an, auf uns, warum auch nicht. “Gott sei Dank leben wir nicht mehr in dieser Zeit, in der Frauen sich zusammenreißen müssen”, sagt eine von uns erleichtert.

Auf meinem Heimweg frage ich mich, welche Zeit sie damit eigentlich gemeint hat. Vielleicht die Zeit um 1751, als William Hogarth die Radierung Gin Lane anfertigte, die der Gesellschaft ihre alkoholischen Abgründe vor Augen führen sollte. Im Zentrum sitzt eine Frau, der ihr Kind aus den Händen fällt. Sie ist scheinbar zu betrunken, um es richtig festzuhalten. Damit sagte Hogarth: Eine trinkende Frau ist für den Tod ihrer Kinder verantwortlich. Daneben wird das Trinkverhalten der Männer als weniger folgenschwer dargestellt: Die Hunde im Bild wirken neben ihren Herrchen zwar traurig oder hungrig, aber sind zumindest noch am Leben.

Diese Zeiten sind, zum Glück, lange vorbei. Aber sind wir tatsächlich schon so weit, dass Frauen, die trinken, nicht weiterhin stigmatisiert werden: als irgendwie obszön und unweiblich? Und wichtiger noch: Ist es wirklich emanzipiert und zielführend, mit dem Boys Club mitzutrinken, anstatt diese Rituale der Männlichkeit und beruflichen Netzwerkbildung – After Work – infrage zu stellen?

“In jeder Kultur, die jemals erforscht wurde, gelten für Frauen beim Trinken strengere Regeln als für Männer”, benennt Elisabeth Raether diese ungleiche Zuschreibung von Verantwortung beim Thema Alkohol. In ihrem Buch Die trinkende Frau erklärt die ZEIT-Redakteurin, dass Frauen auch in Deutschland lange Zeit ein eingeschränktes Sozialleben außerhalb der Familie hatten und allein für ihre Kinder zuständig waren, während ihre Männer Zeit und Muße hatten, sich in einer Bar zu betrinken. Um die darin liegende Ungerechtigkeit herauszustellen, schreibt sie, durchaus polemisch: “Wer lebt, braucht Alkohol. So ist das. Und das war etwas, das Frauen lange abgesprochen wurde: am Leben zu sein.”

Wir kommen in Clubs zur “Ladies Night” umsonst rein und kriegen dazu noch ein Freigetränk geschenkt.

Die Frage ist nur: Wird es ihnen nicht bis heute ein Stück weit abgesprochen, dieses Leben? Zwar hieß es schon 1965 im Familiengesetz der DDR, Eheleute sollen gewährleisten, “dass die Frau ihre berufliche und gesellschaftliche Tätigkeit mit der Mutterschaft vereinbaren kann”, woraufhin vielleicht der eine oder andere Ehemann sagte: “Birgit, ich passe Samstagabend auf die Kinder auf, damit du auch mal mit deinen Freundinnen saufen gehen kannst.” Und auch in der BRD wurde 1976 endlich das “Erste Gesetz zur Ehe- und Familienrechtsreform” erlassen, mit dem man sich gänzlich vom Leitbild einer geschlechterorientierten Arbeitsteilung in der Ehe verabschiedete und gesetzlich keine Aufgabenteilung in der Ehe mehr vorschrieb. Doch Gesetze haben nur eingeschränkt damit zu tun, was von der breiten Mehrheit nicht nur toleriert, sondern auch akzeptiert ist. Gesellschaftliche Normen und Tabus sitzen tief. Sie werden erlernt und weitergegeben – auch von Eltern an ihre Kinder. Beim Thema Alkohol, der Lieblingsdroge der Deutschen, war das lange besonders deutlich.

Heute sieht es für Frauen im Hinblick auf ihre “gesellschaftlichen Tätigkeiten” natürlich anders aus in Deutschland als noch vor wenigen Jahrzehnten. Wir kommen in Clubs zur “Ladies Night” umsonst rein und kriegen dazu noch ein Freigetränk geschenkt. Auch der Blick vieler Männer auf trinkende Frauen ist mittlerweile ein anderer: “Es ist cool, wenn ich mit einer Frau feiern gehen kann. Wenn sie mittrinkt und Spaß dabei hat, ist doch super”, meint ein Freund zu mir, den ich auf das Thema anspreche. Da gebe es aber Grenzen, wie er hinzufügt: Eine Frau, die sich regelmäßig in den Vollsuff trinkt, komme für ihn nicht als potenzielle Partnerin und Mutter seiner Kinder infrage. Gut, denke ich, ich finde das bei Männern auch nicht attraktiv, so ist es eben. Eine Freundin meiner Mitbewohnerin erzählte mir dagegen kürzlich, dass ihr Freund sie immer überreden wolle, dass sie mehr Alkohol trinkt, da sei sie immer so schön locker. Das klingt auf jeden Fall mindestens genauso bedenklich wie ein Mann, der sagt, eine Frau dürfe nicht trinken.

Abgesehen von solchen subjektiven Erfahrungen sprechen auch die Statistiken zum Alkoholkonsum dafür, dass die Unterschiede zwischen Männern und Frauen hierzulande nicht mehr besonders groß sind. Laut der Studie Global Burden of Disease (GBD), die 195 Länder untersucht und vor wenigen Monaten im Fachjournal The Lancet vorgestellt wurde, trinken 94,3 Prozent der Männer und 90 Prozent der Frauen wenigstens gelegentlich Alkohol in Deutschland, auch wenn die Menge bei Männern höher ist – eine Annäherung, die sich nicht in allen Ländern so stark zeigt. Daher liegen deutsche Frauen im Ländervergleich beim Konsumwert von Alkohol mittlerweile auf Platz 9, die deutschen Männer dagegen auf Platz 34.

Naheliegend erscheint, dass das mit der zunehmenden Erwerbstätigkeit von Frauen in Deutschland zusammenhängt. Im Vergleich zu den anderen EU-Ländern hat Deutschland mit 75,2 Prozent im Jahr 2017 die dritthöchste Erwerbstätigenquote der Frauen. So fällt auch anhand des Global Gender Report 2018 auf, dass es gerade Länder wie Deutschland oder Schweden sind, in denen der Grad der Gleichstellung zwischen Männern und Frauen (im Hinblick auf Lohngleichheit, Führungskräfteanteil und politischer Einfluss) verhältnismäßig hoch ist, die auch einen sehr hohen weiblichen Alkoholkonsum aufweisen.

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