/Entwicklungspolitik: “Wir reparieren die Folgen unserer Waffenexporte”

Entwicklungspolitik: “Wir reparieren die Folgen unserer Waffenexporte”

Finanzminister
Olaf Scholz (SPD) will sparen, unter anderem
am Budget für Entwicklungszusammenarbeit. Das soll im Jahr 2020
stagnieren, obwohl sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag eigentlich
verpflichtet hatte, die Mittel zu erhöhen – trotz des Protests von
Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Entwicklungsorganisationen.

In
ihrem Kompass zur
Wirklichkeit der deutschen Entwicklungspolitik
, der an diesem Donnerstag
veröffentlicht wird, üben die Welthungerhilfe und terre des hommes auch
grundsätzlichere Kritik. Mathias Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfe,
bemängelt: Die staatliche Entwicklungshilfe konzentriere sich zu sehr auf
sicherheits- und migrationspolitische Probleme und verliere darüber die Armuts-
und Hungerbekämpfung aus dem Blick.

ZEIT
ONLINE:
Herr Mogge, wohin fließt der
Hauptanteil des deutschen Entwicklungshaushalts?

Wir sehen die zunehmende Verquickung von Entwicklungs-, Migrations- und Sicherheitspolitik kritisch.

Mathias
Mogge:
Paradoxerweise fließt das Geld vor
allem in weniger arme Länder. Daten von 2017 zeigen, dass Indien am meisten
erhielt: umgerechnet 1,2 Milliarden US-Dollar. Syrien folgte mit 880 Millionen
Dollar, dann kamen China, die Türkei und der Irak. Erst auf Rang sechs findet
sich mit Afghanistan ein Land aus der Gruppe der besonders armen Least Developed Countries (LDC). Es
erhielt 480 Millionen Dollar aus Deutschland. Dann folgten Marokko, Indonesien,
Jordanien und Mexiko – alles keine LDCs

Das heißt: Staatliches Entwicklungsgeld aus Deutschland
fließt vor allem dorthin, wo Konflikte herrschen oder Flüchtlinge versorgt
werden müssen. Oder in Schwellenländer, weil die öffentlichen Mittel dort helfen
können, private Investitionen zu mobilisieren. Zum Beispiel in Form von
Garantien, die Kredite zu niedrigeren Zinsen ermöglichen.

ZEIT
ONLINE:
Ihre Daten stammen aus dem Jahr
2017. Wie aussagekräftig sind sie heute?

Mogge: Dass der größte Teil unseres staatlichen
Entwicklungsbudgets in Konflikt-, Krisen- oder Schwellenländer geht, ist schon
seit Jahren so. Auch nach 2017 hat sich daran kaum etwas geändert.

ZEIT
ONLINE:
Fordern Sie, dass die
Bundesregierung einen Teil des Entwicklungsbudgets aus Konfliktgebieten abzieht
und stattdessen in die ärmsten Länder schickt?

Mogge: Nein, gerade in Konfliktländern ist unsere Hilfe nötig.
Wir sehen aber die zunehmende Verquickung von Entwicklungs-, Migrations- und
Sicherheitspolitik kritisch. Entwicklungszusammenarbeit sollte zuallererst
Hunger und Armut bekämpfen und sich an den Bedürfnissen in den betroffenen
Ländern orientieren.

ZEIT
ONLINE:
Aber die öffentlichen Mittel sind
begrenzt.

Mogge: Es würde schon helfen, wenn die Bundesregierung ihre
eigenen Versprechen erfüllen würde. Deutschland hat sich verpflichtet, das
Entwicklungsbudget für die ärmsten Länder so schnell wie möglich auf 0,15 Prozent
der deutschen Wirtschaftsleistung zu erhöhen. Das entspricht derzeit fünf
Milliarden Euro. Deutschland gibt aber nur 3,6 Milliarden Euro an die LDCs. Bis
2030 soll die Quote noch auf 0,2 Prozent steigen. Da könnte man mehr tun.

ZEIT
ONLINE:
Woraus schließen Sie, dass die
Verquickung zwischen Entwicklungs- und anderen Politikfeldern zunimmt? 

Entwicklungsminister Müller sagt, dass sein Budget nicht sinken dürfe, denn sonst würden in Afrika neue Fluchtbewegungen ausgelöst.

Mogge: Zunächst aus der Verteilung der Mittel – und zwar nicht
nur auf die Hauptempfängerländer, sondern ganz generell. Wir haben uns
angeschaut, welche zehn Least Developed
Countries
das meiste Geld aus Deutschland erhalten. Es sind – wie
Afghanistan – vor allem Konfliktländer. In Mali kommt hinzu, dass dort die Bundeswehr stationiert ist. Es gehört
zum Kalkül von Auslandseinsätzen, dass Deutschland dort, wo die Bundeswehr ist,
auch als Entwicklungspartner wahrgenommen werden will. Deshalb fließen Mittel
dorthin.

ZEIT
ONLINE:
In Konfliktgebieten Aufbauhilfe zu
leisten, klingt zunächst einmal sinnvoll.

Mogge: Aber darüber vergisst man Länder, in denen zwar keine offenen
Konflikte herrschen, in denen die Lage aber dennoch sehr fragil ist. Liberia
zum Beispiel, oder Sierra Leone, oder der Sudan. Es ist noch gar nicht so lange
her, da herrschten dort heftige Bürgerkriege. Es wäre ein wichtiger Beitrag zur
Konfliktprävention, sich dort zu engagieren.

ZEIT
ONLINE
: Geld fließt also dorthin, wo
Konflikte herrschen. Woraus schließen Sie noch auf eine zunehmende Verflechtung
von Entwicklungs- mit anderen Politikfeldern?

Mogge: Die Regierung selbst stellt den Zusammenhang ganz
offiziell her. Entwicklungsminister Müller sagt, dass sein Budget nicht sinken
dürfe, denn sonst würden in Afrika neue Fluchtbewegungen ausgelöst. In Regierungsdokumenten
über die Zusammenarbeit mit Afrika wird ausdrücklich die Begrenzung der
Migration als Ziel genannt. Und der EU-Entwicklungsfonds für Afrika, dessen
größter Geldgeber Deutschland ist, vergibt seine Mittel nur an Länder, die in
der Migrationspolitik bestimmte Bedingungen erfüllen, also etwa Abgeschobene
zurücknehmen oder dem Austausch von Daten zustimmen.

ZEIT
ONLINE:
Ist es nicht nachvollziehbar, wenn
Deutschland und die EU Fluchtursachen im eigenen Interesse bekämpfen wollen –
eben auch in der Entwicklungspolitik?

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