/Die Ehe in Zeiten der Instabilität

Die Ehe in Zeiten der Instabilität

Warum wir zusammen sind? Das ist eine abgründige, schwierige Frage. „Wir“ – das sind im neuen Roman des Schweizer Autors Martin R. Dean übrigens eine ganze Menge. Ein Reigen von unperfekten Paaren hat hier seinen Auftritt, ein Freundeskreis, in dem es nicht immer freundlich zugeht.

Die einen verklären ihre von Eifersuchtsdramen begleiteten Seitensprünge zur zeitgemäßen Polyamorie, wie der sexsüchtige Chefarzt Axel, der in Zeiten des Triebaufschubs regelmäßig dem Alkohol zu verfallen droht. Mit seiner afroamerikanischen Frau Ona sammelt er gleichsam „erotisches Kapital“ ein. Beide „betrieben die Ehe wie eine Firma, die an die Börse will“. Bis Ona den Schein zerstört, durch einen Suizidversuch. Andere versuchen die Gefühlsturbulenzen unter totale Kontrolle zu bringen, wie der reiche, undurchsichtige Anatol. Er hat seine Ehe mit der Künstlerin Annette bis ins kleinste Detail geregelt: „Unser Ehe beruht auf einem komplexen Vertragswerk, wie die EU auf den römischen Verträgen.“

Die unterschiedlichen Unzulänglichkeiten entfalten Bindungskraft

Überhaupt ist Anatol ein Mann großspuriger Projekte. Zum Jahrtausendwechsel kauft er ein leerstehendes Hotel am Stadtrand. Jeder der Freunde soll in diesem Zukunftslaboratorium, das er „Sanssouci“ nennt, seinen Platz und seine Werkstatt finden. Die Synergien strömen allerdings nur spärlich, eher dient das Hotel fortan als Rückzugsort in den vielfältigen Beziehungskrisen. Ohne Sorge – von wegen.

Sorglos ist man allerdings im materiellen Sinn. Zum Figurenensemble gehören unter anderem ein Architekt, eine Therapeutin, eine Fernsehmoderatorin, ein Medientheoretiker, ein Bioingenieur, und man fährt Porsche, Maserati oder Alfa Romeo. Vielleicht ist gerade diese Schweizer Saturiertheit der Lebensverhältnisse eine Voraussetzung dafür, um ein allgemeines Krisenbewusstsein zu entwickeln: „Wir gehen instabilen Zeiten entgegen“, sinniert Anatol zu Beginn; zwei Jahrzehnte später ist der Satz noch genauso gültig.

Martin R. Dean wurde 1955 geboren; sein Vater war ein Arzt aus Trinidad. In der Schweiz ist er etabliert, in Deutschland noch zu entdecken. Am besten mit diesem Roman. Er überzeugt durch hintergründige psychologische Erzählkunst, die Sinn für heikle Situationen und schräge Momente hat. Die Frage, was Paare zusammen hält, kann er natürlich auch nicht beantworten. Die geschilderten Beziehungen vermitteln aber den Eindruck, es seien vielleicht gerade die unterschiedlichen Unzulänglichkeiten, die Bindungskraft entfalten. Zum Beispiel bei der erfolgreichen TV-Moderatorin Bea und dem freien Musikjournalisten Finn, der kaum noch Aufträge bekommt und seit Jahren an einer Bob-Dylan-Biographie arbeitet. Er sitzt zuhause, bewundert seine Frau im Fernsehen und ist eifersüchtig und frustriert, wenn sie Verabredungen absagt, weil ihr beruflich etwas dazwischenkommt. Gerüchte über Gewalt in der Beziehung machen die Runde.

Überhaupt stehen alle schon in der Mitte des Romans ziemlich gerupft da. Man redet von zukunftsweisenden Ideen, muss im Alltag den Anspruch aber zurückschrauben. Wie Marc, der Architekt, der sein Geld nicht mit dem hybriden Projekt eines „Weltgartens der Zukunft“ verdient, sondern zum Beispiel mit der Gestaltung „altersgerechter Fitnessräume“ im Seniorenheim „Unter den Tannen“.

Der Autor steht seinen Helden in ihrem Ehe-Elend nicht bei

Die Ehe von Marc und der Übersetzerin Irma bekommt Schlagseite, als Irma erfährt, dass ihre beste Freundin Evelyne eine Affäre mit ihrem gerade volljährigen Sohn Matti hat. Dass Marc ihre Empörung nicht teilt, liegt daran, dass er ebenfalls mit Evelyne geschlafen hat. Nach der Enthüllung erlischt das Sexualleben des Paares. Eine hinterhältige Ironie will es, dass Irma gerade jetzt das neue Werk des französischen Starautors Dupral ins Deutsche übertragen soll, einen Roman voller Pornographie. „Die Arbeit wurde zur Qual. Dupral führte sie ausgerechnet jetzt in die üppigsten Wucherungen sexueller Ausschweifungen … Im Deutschen klangen diese zotigen Ausdrücke albern und peinlich.“ Für subtile Komik sorgen immer wieder solche Missverhältnisse und Kontraste. Hier ist ein vielfältig belesener Autor am Werk, ohne dass die Erzählung überfrachtet wirkt, denn Dean überlässt die Bildung seinen Figuren. Der Erzähler tritt hinter sie zurück, drängt sich nie vor mit Deutungen, wo doch die Figuren selbst ständig mit dem Auslegen ihrer Existenzen beschäftigt sind. Bisweilen könnte man diese erzählerische Dezenz fast als verweigerte Hilfeleistung werten. Dass der Autor seinen Helden in ihrem Ehe-Elend nicht öfter beisteht!

Aber gerade im Spiel der Perspektiven, nicht in einer erzählerischen Allwissenheit über Paar-Problematiken, besteht der Reiz dieses Romans und seiner Dialoge, die an frühe Gesellschaftskomödien von Botho Strauß erinnern. Ein kluges Lesevergnügen.

Martin R. Dean: Warum wir zusammen sind. Roman. Jung und Jung, Salzburg 2019. 360 Seiten, 24 €.

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