/Bundesgerichtshof: “Ein Lehrer, der das macht, steht mit einem Fuß im Gefängnis”

Bundesgerichtshof: “Ein Lehrer, der das macht, steht mit einem Fuß im Gefängnis”

Ein 18 Jahre alter Gymnasiast bricht beim Aufwärmen im
Schulsport plötzlich zusammen. Er ist bewusstlos. Die
beiden Lehrer rufen den Notarzt, bringen den Jungen in die stabile Seitenlage, aber sie versuchen nicht, ihn wiederzubeleben. Durch den Sauerstoffmangel erleidet der junge Mann schwere Schäden am Gehirn. Das geschah im Januar 2013 in Hessen. 

Der 24-Jährige ist seit dem Vorfall zu 100 Prozent schwerbehindert. Die Familie hat das Land Hessen wegen unzureichender
Erste-Hilfe-Maßnahmen verklagt. An diesem Donnerstag hat der Bundesgerichtshof (BGH) in zweiter Instanz entschieden, dass der Fall neu verhandelt werden müsse. Der BGH betonte die Erste-Hilfe-Pflicht für Lehrerinnen und Lehrer im Sportunterricht. Sportlehrern obliege die Amtspflicht, etwa erforderliche und zumutbare Erste-Hilfe-Maßnahmen
rechtzeitig und in ordnungsgemäßer Weise durchzuführen. 

Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbands für Bildung und Erziehung, wünscht sich eine Diskussion über das Thema Erste Hilfe und Gesundheit in Schulen. 

ZEIT ONLINE: Herr Beckmann, Erste Hilfe zu leisten ist Pflicht für jeden Menschen. Gilt das für Lehrer mehr als für andere?

Udo Beckmann: Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs hat heute noch mal die besondere Pflicht zur Ersten Hilfe von Sportlehrkräften betont. Sport ist ein Risikofach. Aber es könnte sein, dass bald auch Chemielehrer beispielsweise stärker in die Haftpflicht genommen werden. Grundsätzlich sollten alle Lehrer eine Ausbildung zur Ersthelfern haben.

ZEIT ONLINE: Und wie oft müssen sie die auffrischen?

Beckmann: Das ist das Problem: Es gibt keine Pflicht zur Wiederholung des Erste-Hilfe-Kurses, sondern nur eine Aufforderung seitens der Länder an die Lehrerkräfte.

ZEIT ONLINE: Die Lehrer können es also so halten, wie sie wollen?

Beckmann: Ja. Das bedeutet aber in der Regel auch, dass sie sich selbst um einen Kurs bemühen müssen, dass sie ihn in ihrer Freizeit machen und selbst bezahlen müssen. Es ist wieder mal eine extra Leistung, die den Lehrerinnen und Lehrern zusätzlich auferlegt wird. Das finden wir falsch. 

ZEIT ONLINE: Was schlagen Sie vor?

Beckmann: Die Länder müssen die Zeit und das Geld für solche Maßnahmen zur Verfügung stellen.     

ZEIT ONLINE: Dieser tragische Unfall hat eine Debatte ausgelöst. Begrüßen Sie die?

Beckmann: Momentan geht die Diskussion noch in die falsche Richtung. Man sollte nicht fragen, was die Lehrkräfte jetzt zusätzlich tun müssen, sondern lieber, wie so ein Unglück verhindert werden kann. Wir fordern dazu speziell ausgebildete Fachkräfte an den Schulen, sogenannte Schulgesundheitsfachkräfte. Die brauchen wir schon allein deswegen, weil immer mehr Schülerinnen und Schüler mit chronischen medizinischen Problemen in die Schule kommen. Lehrkräfte müssen heute schon Medikamente verabreichen oder sogar Spritzen geben. Das geht heute schon im Schulalltag manchmal weit über das hinaus, was sie leisten können und dürfen. Denn eine Lehrkraft, die das macht, steht fast mit einem Fuß im Gefängnis. Wir brauchen eine verbindliche Lösung für das gesamte Thema.

Hits: 12