/70 Jahre Nato: Die Chefs kommen nicht zur Party

70 Jahre Nato: Die Chefs kommen nicht zur Party

Wenn sich die
Außenminister der Nato in Washington zum 70. Geburtstag der Allianz treffen,
dann fehlen die Staats- und Regierungschefs. Das ist ein Zeichen der Krise. Die
Europäer möchten sich nicht so gern von US-Präsident Donald Trump dafür
anblaffen lassen, dass sie nicht genug für die Verteidigung zahlen.
Trump hat das
Bündnisversprechen der USA durchlöchert und würde, ginge es nach ihm, am
liebsten aus der Allianz austreten. Er ist überhaupt die größte Belastung für die Nato. Zu deren Widersprüchen gehört noch dazu die Frage, ob sie mit
der Türkei oder Ungarn überhaupt noch ein Bündnis der Demokratien ist.

Kurz: Die Nato ist
angeschlagen. Doch Trump und Erdoğan zum Trotz wird die Allianz sich feiern und wahrscheinlich noch deutlich
länger als 70 Jahre bestehen. Das liegt auch daran, dass es der Nato nie an
Gegnern mangelte. Auch ihnen sollte an diesem 70. Geburtstag gedacht werden,
denn sie haben mehr zum Bestehen der Nato beigetragen als manches Mitglied.
Denn was die Nato zusammenhält, ist am Ende ihr Daseinszweck: Wozu braucht es
eigentlich das Bündnis?

“Russen draußen, Deutsche unten”

Als die Nato
1949 gegründet wurde, lieferte der sowjetische Diktator Josef Stalin dafür reichlich Anlass. Er war mit seinen Truppen im
Abwehrkampf gegen Nazideutschland bis zur Elbe vorgerückt. Dabei hatten ihm die
USA noch gern geholfen, um Hitler endlich zu besiegen. Nur unterzog Stalin dann
ab 1945 ganz Ostmitteleuropa einer unbarmherzigen Sowjetisierung. Wer sich
widersetzte, wurde vertrieben, weggeputscht, hingerichtet. Aus befreiten
Ostmitteleuropäern wurden Satellitenstaaten. Und in Westeuropa wuchs die Angst.

Die Nato wurde gegründet, um die “Russen draußen, die Amerikaner drin und die
Deutschen unten zu halten”, wie ihr erster Generalsekretär Lord Ismay bemerkte.
Das Prinzip galt während des ganzen Kalten Krieges. Und die Deutschen
hatten sich mit dem “unten” so gut eingerichtet, dass es ihnen heute nicht so
leichtfällt, mehr Verantwortung zu übernehmen.

Nach dem Ende
des Warschauer Pakts und der Sowjetunion 1991 schlidderte die Nato in eine Sinnkrise,
denn wo stand jetzt noch mal der Gegner? Er wurde bald im zerfallenden
Jugoslawien ausgemacht, wo der serbische Herrscher Slobodan Milošević erst Bosnien und später Kosovo zerrüttete. Die
Nato griff in beiden Fällen ein.

Danach verging nicht viel Zeit, und die Allianz
musste zum ersten Mal den Artikel 5 aufrufen: die heilige
Beistandsverpflichtung. Als Osama bin
Ladens
Selbstmordattentäter 2001 die USA angriffen, fand das Bündnis neuen
Sinn im Krieg gegen den Terrorismus. Es begann der längste Nato-Einsatz der
Geschichte; einige Nato-Länder, darunter Deutschland, stehen heute noch in
Afghanistan. Den Kampf gegen den sogenannten “Islamischen Staat” in Syrien, zu
dem die Nato beitrug, kann man als Fortsetzung sehen.

Trotzdem kamen
in den Zweitausenderjahren erneut Zweifel auf, wozu das Bündnis eigentlich gut sei.
Allein für Einsätze in fernen Ländern, die den Bevölkerungen in Europa und den
USA schwer zu vermitteln waren? Oder für die Erweiterung der Nato in
Ostmitteleuropa? Die Begründung war nicht stark genug – und viele Länder, allen
voran Deutschland, kassierten die Friedensdividende. Wehretats wurden gekürzt,
Truppen verkleinert, Panzer verschrottet. Nie wieder Krieg! So sah es aus in
Europa vor einem knappen Jahrzehnt.

Putins Annexion der Krim

Aus dieser
Illusion weckte ein weiterer Inspirator die Nato-Mitglieder auf. Es ist Wladimir Putin. Der russische Präsident
zerstritt sich 2014 nicht mit der Nato, sondern mit der EU über den
ukrainischen Majdan-Aufstand. Aber es hatte Folgen für die Nato. Putin besetzte
mit seinen Truppen erhebliche Teile der Ukraine. Die russische Krim-Annexion
erschütterte die Ordnung der Pariser Charta von 1990. Wladimir Putin möchte
diese Ordnung revidieren und erkennt viele Verträge nicht mehr an.

Seit 2014 findet
die Nato ihren Daseinszweck wieder in Europa. Niemand hat mehr dafür getan als
Wladimir Putin. Er hat neue nukleare Marschflugkörper stationiert, die auf
europäische Hauptstädte zielen. Jahr um Jahr lässt er seine Armee Angriffe auf
Nato-Territorium üben. Die Nato hat deshalb im Herbst in Norwegen das größte
Manöver seit dem Kalten Krieg abgehalten. Die Bundeswehr hat dazu mit viel Einsatz
und fast 90 Millionen Euro beigetragen.

Die Nato ist
also zu ihrem 70. Geburtstag ziemlich lebendig. Wie lange sie noch lebt, hängt zukünftig
von einer ziemlich paradoxen Herausforderung ab: Trump unterminiert sie von
innen, Putin stabilisiert sie durch Druck von außen. Mal sehen, wer stärker ist.

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