/Wohnungsmarkt: “Für uns hier geht es um die Existenz”

Wohnungsmarkt: “Für uns hier geht es um die Existenz”

Wo lassen sich noch Neubaugebiete ausweisen? Viele Städte geraten da an ihre Grenzen und wollen in die Außenbezirke. Doch dort gibt es Widerstand. Manche Bürger sagen, es fehle eine Gesamtstrategie, andere fürchten, enteignet zu werden, einige sorgen sich ums Mikroklima. Wir haben mit drei Kritikern gesprochen.        

Karl-Josef Rühl ist in Frankfurt im Vorstand der Initiative “Heimatboden Frankfurt – Feld statt Beton”.

ZEIT ONLINE: Herr Rühl, in Frankfurt schießen
die Immobilienpreise mit jedem neuen Luxuswohnturm weiter in die
Höhe
. Nun soll ein Neubauviertel im Nordwesten der Stadt die Lage entspannen: Etwa 30.000 Menschen sollen hier einmal in geförderten Wohnungen leben.
Was haben Sie dagegen?

Karl-Josef Rühl: Gegen neue Wohnungen habe ich
generell nichts, aber das Gebiet, das bebaut werden soll, gehört zu den
Ausläufen der Wetterau und liegt genau zwischen Taunus und Vogelsberg. Es ist
eines der wichtigsten Gebiete, in denen Kaltluft entsteht und Kaltluft in die
Stadt einfließt. Es fließt hier nicht nur die kühle Taunusluft den Hang herunter, sondern auf unseren Feldern steht die Luft jede Nacht. Sie kühlt ab und strömt von hier
aus in die Stadt. Wenn wir das behindern, indem wir die Flächen zubauen,
bekommen wir ein Problem.

ZEIT ONLINE: Weil die Wetterau das Wetter der
Stadt bestimmt, oder besser gesagt das Klima?

Rühl: Frankfurt war im vergangenen
Hitzejahr bereits die heißeste Stadt in ganz Deutschland. Sie heizt sich schon
jetzt stark auf wegen der dichten Bebauung. Ein Klimagutachten der Universität Kassel hat ermittelt, dass sich die Temperatur in der Innenstadt um
durchschnittlich weitere vier Grad erhöhen würde, wenn das Gebiet zugebaut
würde. Später sogar noch mehr, sechs bis zehn Grad könnten es werden. Es wird
also noch viel wärmer, wenn wir die 550 Hektar Ackerflächen versiegeln, über
die momentan jede Menge Luftfeuchtigkeit verdunstet – die unsere Stadt mit
jedem Luftstrom kühlt. Außerdem verlaufen im Nordwesten zwei Bachauen, und das
Trinkwassereinzugsgebiet Frankfurts ist größtenteils der Vogelsberg. Einer der
letzten eigenen und zentral wichtigen Brunnen der Stadt liegt hier, genau wie die
letzten Natur-, Landschafts- und Wasserschutzgebiete. All das würde zerstört.

ZEIT ONLINE: Wie reagiert die Stadt auf diese
Argumente?

Rühl: Die sagt, wir stellen die neuen Häuser
einfach so, dass noch Luft hindurchströmen kann. Aber das ist doch lächerlich.
Allein die zusätzliche Betonfläche an dieser Stelle bedeutet eine weitere
Aufheizung. Sie können später gar nicht mehr ausgleichen, was neue Gebäude an
zusätzlicher Wärme speichern würden. Und was tun wir, wenn es nicht
funktioniert? Dann sind die Flächen bereits unwiederbringlich verloren. Es gibt keine
Gesamtbetrachtung der Stadt Frankfurt, also keine Simulation zur Klimasituation.
Das lehnt die Stadt ab, sie wird wissen, warum. Sie baut zwar an allen Ecken
und Enden, aber es gibt immer nur Einzelbetrachtungen pro Bauprojekt. Die Auswirkungen in diesen feinen
Ökosystemen bedingen sich wechselseitig.

ZEIT ONLINE: Nicht
nur die Stadtbewohner müssen Opfer bringen, sondern auch die grünen
Außenbezirke, zu denen Sie selber gehören. Wie soll man sonst den Zuzug
bewältigen?

Rühl: Es geht mir nicht um die eigenen
Flächen, und ich würde auch nie sagen: Verschont uns und baut lieber woanders.
Mir ist schon klar, dass Neubau extrem schwierig ist, wenn Bürgerproteste das
Bauen überall behindern
. Aber meine Familie lebt seit 400 Jahren in Oberursel
und wir haben zwei Hektar Land im Entwicklungsgebiet. Und ich würde es lieber
weiter für 220 Euro pro Monat und Hektar verpachten, als teuer an die Stadt zu
verkaufen – denn was die plant, führt zum Klimawandel für uns alle. Das kann
nicht gut gehen! 1972 gab es hier eine Gebietsreform, damals mussten viele
Bauern und die Kirchen ihr Land an die Stadt abgeben, weil die sagte: Wir
brauchen diese Flächen als Kaltluftentstehungsgebiet und Frischluftzufuhr aus dem Taunus. Heute
sagt sie: Die kühle Luft komme jetzt angeblich häufiger aus dem Osten – nur,
weil ihr die Flächen plötzlich zupasskommen.

ZEIT ONLINE: Haben Sie eine bessere Idee, wo
Frankfurt bauen sollte?

Rühl: Ich verstehe, dass die Stadt
unter Druck steht, sie ist am Anschlag. Durch den Flughafen darf sie im Süden
nicht mehr bauen. An anderen Stellen hat die politische Prominenz den Neubau
verhindert, weil sie dort selber wohnt und keine Neubaugebiete wünscht. Aber
unsere Flächen können doch auch kein reines Spekulationsobjekt sein. Es muss
auch darum gehen, sie klimaschonend für unsere Enkel zu erhalten. Es gibt außerdem
Gutachten, die sagen, dass im gesamten Rhein-Main-Gebiet 300.000 neue Wohnungen
entstehen könnten, wenn man bestehende Häuser aufstockt.

ZEIT ONLINE: Dazu müsste man Tausende
Hausbesitzer aber erst einmal bringen. Das dauert Jahre.

Rühl: Das Neubaugebiet im Nordwesten
wäre auch nicht morgen fertig. Aufstocken dient dem Allgemeinwohl und es gibt
sowieso keine schnellen Lösungen mehr. Sehen Sie sich das Baugebiet Riedberg an, das sollte im Jahr 2000 fertig
sein. Gerade erst errichtet man dort die letzten Häuser. Außerdem stehen in Frankfurt
rund eine Million Quadratmeter Büroflächen leer, während am Hauptbahnhof neue
Bürotürme entstehen. Wieso baut man diese leeren Büroflächen nicht zu Wohnraum
um?

ZEIT ONLINE: Würden Sie Ihr eigenes Haus
aufstocken, um mehr Platz zu schaffen?

Rühl: Ich trage mich tatsächlich mit
dem Gedanken. Ich besitze eine Immobilie aus den Siebzigerjahren und könnte ein
Stockwerk in Leichtbauweise daraufsetzen. Dann hätte ich einen Mieter mehr.
Dazu müsste mir die Gemeinde aber ein Pultdach genehmigen und mein Nachbar
müsste einverstanden sein. Die Gemeinden müssten solche Verfahren vereinfachen.
Allein in Oberursel könnten wir 500 neue Wohnungen schaffen, indem wir die
Flachdächer von Discountern überbauen. Da besteht noch jede Menge Potenzial.
Neubau ist eine Aufgabe, die von der gesamten Gesellschaft erbracht werden muss.

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