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Venezuela: Die Krise kann noch schlimmer werden

Nicolás Maduro wendet sich in einer Fernsehansprache an das Volk. Venezuela am vergangenen Montag: Gerade hat das Land den vierten mehrtägigen Stromausfall innerhalb von vier Wochen überstanden. Der Staatspräsident will zeigen, dass nicht er die Schuld daran trägt. “Scharfschützen” der Opposition hätten ein Kraftwerk beschossen, sagt er. Ein “elektrischer Staatsstreich” sei im Gange. Die Kamera schwenkt zu zwei Ministern, die mit ihm am Tisch sitzen. Man fragt sich, ob wenigstens sie ihrem Chef noch glauben.

Am gleichen Tag in einem heruntergekommenen Mittelklasseviertel der Hauptstadt Caracas: Der Interims- und Gegenpräsident Juan Guaidó kommt auf eine Bühne und fordert Strom, fließend Wasser und freie Wahlen. Es sind Dinge, die die Venezolaner schon einmal hatten – allerdings bevor Maduro an die Macht kam. Dessen Regierung habe Milliarden Dollar geraubt. Das sei der Grund für die Energiekrise, sagt Guaidó. Im Hintergrund hört man die Einschläge von Tränengasgranaten. Der 35-Jährige spricht unbeeindruckt weiter. Die Leute jubeln.

Es ist ein ganz normaler Tag in Venezuela, in dem seit dem 23. Januar zwei Präsidenten um die Macht ringen. Maduro, 55 Jahre alt, ist der Nachfolger des 2013 verstorbenen Linkspopulisten Hugo Chávez. Er wird gestützt von Russland, China und den venezolanischen Generälen. Die meisten westlichen Staaten hingegen lehnen Maduro ab, bei dessen Wiederwahl im Jahr 2018 zahlreichen Unregelmäßigkeiten registriert wurden.

Wegen dieser Unregelmäßigkeiten rief das oppositionelle venezolanische Parlament am 23. Januar Guaidó zum Interimspräsidenten aus. Die USA, Deutschland und rund 50 weitere Länder erkannten ihn an. Der Machtkampf in Venezuela ist seither noch härter geworden als zuvor. 

Maduro hat das Öl und die Panzer

Maduro hat in seiner Regierungszeit die Politik seines Mentors Hugo Chávez fortgesetzt. Unter ihm gingen die Korruption weiter, die Zerstörung der Wirtschaft, die Aushöhlung der Demokratie. In den Jahren 2014 und 2017 scheiterten zwei Versuche, ihn mit Massenprotesten zur Abdankung zu zwingen. Hunderte Menschen starben. Maduros Gegner hatten die Mehrheit im Volk hinter sich. Aber der Präsident hatte das Öl – und die Panzer. Viele Venezolaner gaben die Hoffnung auf. Drei Millionen emigrierten seit 2015 ins Ausland.

Seit Januar aber befinde sich die Opposition in einer besseren Position, sagt Luis Vicente León vom Meinungsforschungsinstitut Datanálisis in Caracas: Sie könne jetzt verhandeln, statt nur zu protestieren. León führt das vor allem darauf zurück, dass die internationale Gemeinschaft Guaidó unterstützt – allen voran US-Präsident Donald Trump, dessen Regierung Ende Januar weitere Sanktionen gegen die Administration Maduros verhängte.

Sie treffen Maduro an einem zentralen Punkt seiner Macht. Im Jahr 2017 verkaufte Venezuela mehr als 40 Prozent seiner Ölexporte in den USA. Bisher brachte das dem Staatshaushalt Devisen, die die Regierung dringend braucht, unter anderem, um Lebensmittel zu importieren. Unter den neuen Sanktionen kaufen die USA zwar weiterhin Öl aus Venezuela ein. Aber das Geld, das sie zahlen, landet auf Sperrkonten. 

Ein Land im Koma

Wer Venezuela dieser Tage besucht, hat den Eindruck, einem Patienten im Wachkoma zu begegnen. Die Venezolanerinnen und Venezolaner sind leidensfähig, aber die wiederholten Blackouts brachten sie an ihre Grenzen.

Im ganzen Land brach die Wasserversorgung zusammen. Menschen schöpften das Wasser aus dreckigen Flüssen. In Caracas verkehrten kaum noch Busse, und die Metro hatte ihren Betrieb völlig eingestellt. Ärzten zufolge starben in Krankenhäusern Patienten, weil beispielsweise Blutwäscheapparate ausfielen – die Behörden bestätigten die Berichte nicht. Tagelang waren die Bürger von der Außenwelt abgeschnitten, weil Telefon- und Internetanschlüsse tot waren. Wer sich nicht mit Lebensmitteln eingedeckt hatte, hatte Pech, denn die Supermärkte blieben geschlossen.

Experten machen die sozialistische Regierung für die Energiekrise verantwortlich. Sie habe Gelder veruntreut statt in die Wartung zu investieren. Tausende Techniker seien abgewandert. Tatsächlich musste Venezuela bereits vor zehn Jahren unter Chávez Strom rationieren. Seither gehörten Blackouts zum Alltag. Selbst bei einem Regierungswechsel könnte es Jahre dauern, bis Venezuela wieder ausreichend Strom produziert.

Auch der Privatwirtschaft wurde der Stecker gezogen – im übertragenen wie im wörtlichen Sinn. Im Büro eines Bauunternehmers in Caracas schauen einige Architekten über ihre Pläne. Sie haben nicht viel zu tun. Die Baustellen sind geschlossen. Sie hätten keine Materialien, sagt der Eigentümer der Firma, und weil der öffentliche Transport zusammengebrochen sei, blieben die Arbeiter zuhause. Seinen Namen will er lieber nicht veröffentlicht sehen.

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