/Sexueller Missbrauch: Kommission beklagt Schweigen im Umfeld von Missbrauchsopfern

Sexueller Missbrauch: Kommission beklagt Schweigen im Umfeld von Missbrauchsopfern

In den vergangenen drei Jahren haben sich rund 1.700 Betroffene von sexualisierter Gewalt bei der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs in Deutschland gemeldet. Dies geht aus der Bilanz des Gremiums hervor, die diese rund zwei Jahre nach Beginn ihrer Arbeit vorgelegt hat. Demnach gab es die Taten in allen gesellschaftlichen Bereichen, über das nahe soziale Umfeld bis hin zu Schule, Kirche und Sport. Allein 56 Prozent der Betroffenen wurden in ihren Familien missbraucht.

Im Mai 2016 hatte der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, die Kommission einberufen. Sie untersucht alle Formen sexuellen Kindesmissbrauchs sowohl in der Bundesrepublik als auch in der früheren DDR, soll Strukturen und Bedingungen aufdecken, die Missbrauch in der Vergangenheit ermöglicht und begünstigt haben – um daraus Lehren für die Gegenwart zu ziehen.

“Die Gesellschaft muss lernen, Kinder ernst zu nehmen”

Wie die Kommission berichtete, ist eines der wichtigsten Themen der Opfer “das Schweigen der Anderen”. Nahe Familienangehörige, Nachbarn, Lehrkräfte, Mitarbeitende des Jugendamtes und andere hätten somit dazu beigetragen, dass der erlebte Missbrauch nicht beendet und auch später die Aufarbeitung verhindert wurde. Für Prävention und Kinderschutz sei es zentral, diesen Widerständen und dem Schweigen etwas entgegenzusetzen.

“Es ist auffällig, wie häufig das nahe Umfeld und die gesamte
Gesellschaft versagt haben und Kinder nicht geschützt wurden”, sagte die
Kommissionsvorsitzende Sabine Andresen bei der Präsentation der Bilanz
in Berlin. Das gelte für Institutionen wie die Kirchen, die sich selbst schützen
wollten. Das gelte aber auch für das private Umfeld in Familien, wo
Angehörige, Freunde und Nachbarn weggeschaut hätten.

Für die Frankfurter Jugendforscherin ist es entscheidend, dass Erwachsene, die mit Kindern umgingen,
ständig fortgebildet würden. Sie müssten etwa Missbrauch identifizieren können und über Täterstrategien oder die Folgen von Missbrauch aufgeklärt werden. “Die Gesellschaft muss lernen, Kinder ernst zu nehmen, damit sie sich
nicht mehr ohnmächtig fühlten”, forderte Andresen.

Mehr als 13.000 Kinder wurden 2018 Opfer sexuellen Missbrauchs

Die Expertin berichtete auch von langfristigen Folgen insbesondere von Missbrauchstaten in Familien. Betroffene Kinder erlebten eine “existenzielle Dauerbelastung”, weil sie häufig völlig schutzlos blieben, erläuterte Andresen. Oft biete nur ein völliger Bruch mit der Familie einen Ausweg. Es sei ein wesentliches Anliegen, dass ihre Geschichten nun gehört würden. Denn als Kind, aber auch später als Erwachsene hätten Betroffene die Erfahrung gemacht, dass sie zurückgewiesen wurden, dass eine Aufarbeitung der Ereignisse verweigert wurde oder dass sie mit ihren Familien brechen mussten, um den Tätern – oft Väter oder Großväter – zu entkommen.

Das Thema sexueller Kindesmissbrauch sei nach wie vor “sehr, sehr groß”, sagte Familienministerin Franziska Giffey (SPD) erst vor wenigen Tagen. Nach der vom Bundesinnenministerium veröffentlichten Polizeilichen Kriminalstatistik wurden im vergangenen Jahr 13.683 Kinder als Opfer von sexuellem Missbrauch erfasst.

Die Dunkelziffer ist nach Aussage von Experten aber viel größer. Die Kommissionsvorsitzende Andresen verwies darauf, dass der Missbrauch in
medizinischen Einrichtungen und Kliniken noch zu wenig untersucht wurde.
Künftig müsse auch geklärt werden, wo Jugendämter und Gerichte versagt haben.

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