/Presseschau zum Brexit: “Mit dieser Initiative spielt May ihren letzten Trumpf aus”

Presseschau zum Brexit: “Mit dieser Initiative spielt May ihren letzten Trumpf aus”

Angesichts des drohenden harten Ausstiegs aus der EU setzt die britische Premierministerin Theresa May auf einen weiteren Brexit-Aufschub und eine Kompromisssuche mit der Opposition. Sie wolle mit Labour-Chef
Jeremy Corbyn in überparteilichen Gesprächen einen Ausweg finden,
sagte May. Das Land werde auch eine Fristverlängerung
des Austrittstermins über den 12. April hinaus brauchen. Ist der Plan der Regierungschefin ein Ausweg aus der verfahrenen Situation?

Mays Initiative komme überraschend, schreibt die Brüsseler Zeitung De Tijd.
Erst kurz vor der
auslaufenden Frist sei die britische Premierministerin bereit, nach
einem Kompromiss zu suchen, für den es eine Mehrheit im Parlament gibt.
“Mays Pokerspiel wird die politischen Gemüter in Großbritannien
nicht besänftigen. Die Befürworter und die Gegner werden sich weiterhin
mit gezogenen Messern gegenüberstehen. In einem solchen Klima ist jeder
Kompromiss suspekt. Mit dieser Initiative spielt May ihren letzten
Trumpf aus.” Misslinge das Vorhaben, werde ein harter Brexit
wieder wahrscheinlicher. “Irgendwann muss das aufhören. Und wie der
französische Präsident Emmanuel Macron sagt: Europa kann die politischen
Probleme der Briten nicht lösen. Es ist das ultimative Glücksspiel
einer Premierministerin, die am Ende ist.”

Der britische Guardian wundert sich über den Zeitpunkt von Mays Ankündigung. Es habe der Premierministerin längst klar sein müssen, dass sie auf Unterstützung über Parteigrenzen hinweg angewiesen sein
werde. “Damit so lange zu zögern und dann solche Vorbedingungen zu stellen
bedeutet, dass May mit dem Feuer spielt”, kommentiert das Blatt. “Es spricht Bände, dass die Premierministerin erst mit dem Rücken an der
Wand zur Vernunft kommt und nun akzeptiert, dass die seit Langem
vorgebrachten Argumente ihrer Opponenten mit berücksichtigt werden
müssen. Die Frage ist, ob sie dafür im Herzen wirklich so offen ist wie
die Tür zu ihrem Amtssitz Downing Street Nr. 10. (…)”

Die Neue Zürcher Zeitung aus der Schweiz schreibt, May habe “endlich das getan, was viele ihrer Kritiker schon lange
von ihr gefordert hatten: Sie hat den Versuch aufgegeben, die Brexit-Hardliner
unter den Tories auf ihre Seite zu ziehen. (…) Dieser Plan ist allerdings ein politischer Hochseilakt, und er könnte
im äußersten Fall damit enden, dass die Parteienlandschaft in
Großbritannien in ein paar Jahren um einiges anders aussehen wird als
heute. Dass Theresa May nun dazu bereit ist, zeigt vor allem, wie weit
sie inzwischen in die Enge getrieben worden ist. Denn sie geht damit das
für sie untypische, beträchtliche Risiko ein, dass es zu einer Spaltung
der Konservativen Partei kommen könnte – der Partei, welche seit
Jahrzehnten Mays politische Heimat ist. Die Zerreißprobe, der die
Partei durch den Brexit ausgesetzt wurde, wird von May nun noch auf die Spitze getrieben.”

Die liberale französische Tageszeitung L’Opinion kommentiert: “Unfähig,
selbst eine Lösung zu finden, werden sich die Briten erneut an den
Kontinent (EU) wenden, um zu versuchen, den 27 (verbleibenden
EU-Mitgliedsstaaten) eine neue Frist abzuringen. Aber die Europäer
müssen jetzt aufhören, nachsichtig zu sein. Denn was in London
geschieht, würde in gleicher Weise in jedem anderen Land geschehen, das
mit einem Projekt konfrontiert ist, das so atemberaubend ist wie der
Bruch mit Europa – mit einem Teil von sich selbst. Also sollte dies
zumindest all jenen als Beispiel dienen, die vorgeschlagen haben, eines
Tages dem gleichen Weg des Austritts zu folgen.”

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