/“Zornfried”: Journalisten, die auf Ziegen starren

“Zornfried”: Journalisten, die auf Ziegen starren

Der Versuch,
dem Phänomen der Neuen Rechten journalistisch beizukommen, führt zuweilen zu
seltsamen Näheverhältnissen. Journalistinnen und Journalisten reden mit Rechten, trinken mit ihnen, und manchmal besuchen sie die Vordenker und vermerken den handgemachten Ziegenkäse. Aber verstehen sie, wohin das führen kann? Wie sie Feinde der
Demokratie allein durch ihren Blick vergrößern? Und sich selbst am Ende klein,
vielleicht gemein machen?

Vielleicht
kann Satire helfen, verloren gegangene Distanz wiederherzustellen, gerade weil sie
in der Stimmenimitation eine reflektierte Nähe zum Gegenstand einnimmt. Denn die
besten Satirikerinnen und Satiriker haben immer auch dieses Talent: Sie können
die Tonfälle der Menschen, denen ihr Spott gilt, nachmachen. Die Figuren werden
so zu gleichen Teilen glaubhaft und unglaubhaft, sind nah an der Wirklichkeit
und weit genug von ihr distanziert. Nur so können ihre Fehler im komischen
Kontrast augenfällig gemacht werden.

Umgekehrt gilt: Erst ein
starker Realismus in der Darstellung macht die Verzerrungen der Satire
überhaupt erträglich. Das betrifft besonders den satirischen Roman. Niemand
hat Lust, über Hunderte von Seiten die immer gleiche Nummernrevue von humorig
aufgeblasenen Figuren zu verfolgen: der dicke Kapitalist mit der Zigarre, die
wütende Hausfrau mit Lockenwicklern und Nudelholz. Klassiker des Genres wie die
Romane Heinrich Manns oder Evelyn Waughs leben deshalb davon, dass ihre Autoren
dem Diskurs, auf den sie eindreschen, penibel, ja fast liebevoll seinen Sound
abgelauscht haben – und es so zu Figuren bringen, die zugleich plastisch und
präzise sind.

In Zornfried richtet Jörg-Uwe Albig seine Fähigkeit zur satirischen
Mimikry gegen das Personal der Neuen Rechten, insbesondere gegen die Garde von
Intellektuellen, der es gelungen ist, ihr dürftiges Denken durch die Patina
kultureller Gefährlichkeit aufzuwerten. Und gegen die Journalisten, die ihnen
auf den Leim gehen. Erzählt wird der Roman von Jan Brock, der bei seinen
Recherchen über den obskuren Dichter Storm Linné herausfindet, dass sich auf dessen
Wohnsitz, der Burg Zornfried im Spessart, eine Gruppe rechtskonservativer
Gleichgesinnter versammelt hat und diesen Dichter kultisch verehrt. In der
Hoffnung auf eine aufmerksamkeitsheischende Story macht der Journalist Brock
sich daran, in diese politische Parallelwelt einzutauchen.

Natürlich erkennt man im
Roman – Stichwort Imitation – sehr schnell Anspielungen auf reale Menschen,
Orte und Ereignisse. Der Burgbesitzer und ideologische Poltergeist des
Anwesens, ein Hartmut Freiherr von Schierling, verweist auf den realen Verleger
Götz Kubitschek, dessen Rittergut in Schnellroda
nicht nur eine Versammlungsstätte
der Neuen Rechten geworden ist, sondern auch ein beliebtes Ausflugsziel für Journalistinnen
auf der Suche nach einer gesellschaftlich relevanten Homestory mit dem Flair
des politischen Schauerromans.

So gibt sich Zornfried als Zeitroman zu erkennen, in
dem die unmittelbarste Gegenwart offen verarbeitet wird. Diese Gattung hat keinen
unbedingt guten Ruf, zu groß oft das Gewicht auf der Kommentierung realer
Personen und Ereignisse, auf dem Schlüssellocheffekt, zu nebensächlich Sprache,
Komposition, literarische Originalität im weitesten Sinn. Hier allerdings
entwickelt sich ein seltenes ästhetisches und intellektuelles Vergnügen. Zornfried ist zeitgemäß, ohne
zeitgeistig zu sein; anspielungsreich, ohne sich auf ein Ratespiel reduzieren
zu lassen.

Der Erzähler reflektiert
wenig und beobachtet viel. Er ist ein mittlerer Held, nicht besonders
intelligent, aber auch nicht überbordend zynisch. Er verkörpert die Figur des
virilen Reporters, der glaubt, vor allem als teilnehmender Beobachter die
besten Storys schreiben zu können. Seine Helden sind die Kraftkerle des
amerikanischen New Journalism, Männer, die “mit Motorradrockern Speed geschluckt
und Tankwarte verdroschen” haben. Ein Geschichtenerzähler im Stil des
journalistischen Storytellings, das zuletzt Skandale in der echten Welt
produziert hat (die von Albig genüsslich zitiert werden), will Brock aber nicht
sein. “Schreiben, was ist, und nicht, was sein soll” ist sein von Rudolf Augstein bekanntes Credo, ein letztlich hilfloser Versuch, sich auf ein allzu
einfaches Konzept journalistischer Integrität zurückzuziehen. Denn was außer
Geschwätz ist dieser Satz, wenn der Reporter schon durch die Wahl seiner
Gegenstände und Gesprächspartner ein krasses Zerrbild dessen entwirft, was
tatsächlich ist?

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