/Gemeinnützigkeit: Wie politisch darfs denn sein?

Gemeinnützigkeit: Wie politisch darfs denn sein?

Wer entscheidet, was gut für das allgemeine Wohl unserer Gesellschaft ist? Schon immer gab es Streit, wenn jemand mit dem Anspruch antrat, es besser zu wissen und für alle
anderen zu sprechen. Seit der Bundesfinanzhof dem globalisierungskritischen Bündnis Attac die Gemeinnützigkeit aberkannt hat, streitet auch Deutschland wieder darüber, was dem Allgemeinwohl dient. Es geht nicht
darum, ob es Organisationen geben
kann, die das Interesse der Allgemeinheit vertreten. Die
Frage lautet, welche Vereine dem allgemeinen Wohl dienen oder ob sie doch bloß die Interessen einer Minderheit verfolgen. Umstritten ist dabei vor allem
aber: Wie weit darf eine Organisation dabei gehen – und wie politisch darf sie
werden?

Im Fall von Attac befand der
Bundesfinanzhof: Das Netzwerk agiere zu politisch und
schalte sich zu sehr in Fragen der Tagespolitik ein. Damit habe es seinen
Gemeinnützigkeitsstatus verwirkt. Attac will das nicht hinnehmen und vom Bundesverfassungsgericht klären lassen, ob
das Urteil rechtens ist. Doch unabhängig von dieser Klärung hat das Urteil einen Stein ins Rollen gebracht, der zu einer Lawine werden könnte: Politiker wittern nun auch bei anderen unliebsamen Vereinen die Chance, sie als
“zu politisch” brandmarken zu können und von der Liste der Gemeinnützigen streichen zu
lassen. Viele Unionspolitiker denken dabei vor allem an die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Den CDU-Verbänden gefällt vor allem deren Engagement im
Dieselskandal nicht
sowie ihre Klagewelle für Fahrverbote in Städten. Auch
andere Umweltorganisationen wie der BUND oder Greenpeace sowie die Kampagnenplattform Campact werden als zu politisch kritisiert. Droht ihnen ebenfalls der Entzug der
Gemeinnützigkeit?

Das Urteil
gegen Attac ist auch unter Juristen umstritten. Manche
sehen es als gerechtfertigt, dass der Bundesfinanzhof die Nichtregierungsorganisation
in ihre Schranken verwies. Die deutsche Steuergewerkschaft etwa argumentierte, es
“dürften keine Schleusen aufgemacht werden”, damit sich kein riesiger
unregulierter NGO-Markt bilde, der zunehmend in den Bereich der etablierten
Parteien und gewählten Volksvertreter eingreife. Schließlich seien die Parteien laut Grundgesetz
zuständig für die politische Willensbildung, die
politischen Aktivitäten der NGOs müssten eingegrenzt werden. Andere Experten warnen genau
davor: Gemeinnützige Organisationen seien ohnehin benachteiligt in
der öffentlichen Debatte und dürften nicht noch mehr “unterdrückt und in ihrem
Wirkungsfeld eingeengt” werden. Sonst schließe man politisch Andersdenkende
völlig aus dem Willensbildungsprozess aus, argumentierte etwa der frühere Bundesverfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem.

Dass der Deutschen Umwelthilfe nun das gleiche Schicksal wie Attac droht, gilt aber als wenig wahrscheinlich. Es gebe nämlich
einen grundlegenden Unterschied zwischen Attac und der DUH, der ergebe sich aus
der Abgabenordnung, sagt Anna Leisner-Egensperger,
Professorin für öffentliches Recht an der Universität Jena. Die Abgabenordnung (AO) ist so etwas wie das Grundgesetz des deutschen Steuerrechts. Sie definiert, wann eine Organisation als gemeinnützig
anerkannt werden kann und keine Steuern zahlen muss und wann das nicht gilt. Und die AO benennt 25 gemeinnützige Satzungszwecke für Gemeinnützige, darunter
die Förderung von Wissenschaft, Bildung, Erziehung, Kunst, Kultur,
Völkerverständigung, Heimatkunde, Gesundheitswesen – und eben auch von
Umweltschutz.

Wenn Vereine beim
Finanzamt
die Gemeinnützigkeit beantragen oder Gerichte darüber entscheiden müssen, ist es entscheidend, welchem dieser
Zwecke sie sich zuordnen lassen. Bei der DUH ist das unzweifelhaft der Bereich
des Umweltschutzes, was bei Attac weniger eindeutig ist. Die NGO bezeichnet sich selbst als “Bildungsbewegung”. Der Bundesfinanzhof legte laut der Juristin Leisner-Egensperger die Definition aber relativ eng aus: Indem
sich Attac der Förderung des demokratischen Staatswesens verschreibe, betreibe
es politische Bildung, “und dazu gehört zwar die theoretische Erarbeitung von Lösungsvorschlägen für
die Tagespolitik, nicht aber der Versuch, diese durch weitere Maßnahmen durchzusetzen”. Attac aber startet Onlinepetitionen, zum Beispiel für die Finanztransaktionssteuer, und forderte die
Bundeskanzlerin zum Handeln auf. “Genau dadurch ist die Bewegung den
Parteien zu nahe gekommen”, sagt Leisner-Egensperger. “Das Problem lag also
nicht im Inhalt der Forderungen von Attac, sondern darin, wie die Organisation
versucht hat, diese politisch durchzusetzen.”

“Rechtslage ist eine andere”

Die Deutsche Umwelthilfe agiert allerdings nicht
weniger politisch, sie appelliert nicht nur an die Kanzlerin, sondern sie klagt
auch gegen das Verkehrsministerium und fordert etwa Akteneinsicht im Abgasskandal.
Darf sie das? “Bei der Deutschen Umwelthilfe ist die Rechtslage insofern
eine andere, als diese Organisation ja unstreitig einen Förderzweck verfolgt, nämlich
den des Umweltschutzes”, sagt Leisner-Egensperger. Politisch betätigen dürfe sie sich damit insoweit, als es dem Förderziel des Umweltschutzes diene.

Ihre Kritiker aus
der Union stellen aber infrage, ob die Umwelthilfe dazu auch einzelne Kläger in Prozessen
unterstützen darf oder ob sie nicht genau damit das Interesse der
Allgemeinheit aus dem Auge verliert. Für die Juraprofessorin geht das aber in
Ordnung, denn sowohl “der Klageerfolg” als auch “die dadurch aufgebaute
Drohkulisse” förderten ja letztlich den Umweltschutz, der zudem als Staatsziel
in der Verfassung verankert sei. Mit den gleichen Argumenten müssten demnach
auch Umweltverbände wie der BUND oder Greenpeace ihren Anspruch auf Gemeinnützigkeit verteidigen
können.

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