/BGH-Urteil: Ärzte haften nicht für künstlich verlängertes Leiden am Lebensende

BGH-Urteil: Ärzte haften nicht für künstlich verlängertes Leiden am Lebensende

Ärzte haften grundsätzlich nicht finanziell, wenn sie einen Patienten zum Beispiel durch künstliche Ernährung länger als medizinisch sinnvoll am Leben erhalten und damit sein Leiden verlängern. Zu diesem Urteil kommt der Bundesgerichtshof (BGH). Demnach verbietet es sich generell, ein Weiterleben als Schaden anzusehen, urteilten die Karlsruher Richter und wiesen damit eine Klage auf Schmerzensgeld und Kostenersatz im Namen eines verstorbenen Demenzkranken ab (Az. VI ZR 13/18). 

Auslöser des Verfahrens war die Klage eines Manns gegen den Hausarzt seines Vaters, der seit 2006 bis zu seinem Tod im Jahr 2011 durch eine Magensonde künstlich ernährt worden war. Der alte Mann litt unter Demenz, konnte nicht mehr kommunizieren und sich nicht mehr bewegen. Am Ende litt der 82-Jährige auch an einer Lungen- und einer Gallenblasenentzündung.

Keine Patientenverfügung

Nach Ansicht seines klagenden Sohnes führte die künstliche Ernährung spätestens seit 2010 “nur noch zu einer sinnlosen Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens”. Ihm zufolge hätte der Arzt das Ziel der Therapie ändern müssen – nämlich dahingehend, das Sterben seines Vaters zuzulassen. Er verklagte den Mediziner deshalb auf 100.000 Euro Schmerzensgeld und Schadenersatz in Höhe von mehr als 50.000 Euro für Behandlungs- und Pflegekosten.

Die Schwierigkeit für die Gerichte lag darin, dass im konkreten Fall keine Patientenverfügung vorlag. Darin können Menschen vorsorglich aufschreiben, in welchen Situationen sie wie behandelt werden möchten und wann sie keine Behandlung mehr wünschen. In dem Fall hatte der Vater nichts hinterlassen und konnte sich selbst nicht mehr äußern. Ob er die Magensonde noch gewollt hätte, war deshalb unklar.

So wurde die Klage vom Landgericht München in erster Instanz abgewiesen, während das Oberlandesgericht in zweiter Instanz dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 Euro zugesprochen hatte. Der Arzt habe seine Aufklärungspflicht verletzt, begründeten die Richter ihre Entscheidung. Er hätte mit dem offiziellen Betreuer des schwer Erkrankten – einem Rechtsanwalt – erörtern müssen, ob die Ernährung über die Magensonde fortgesetzt oder beendet werden soll.

“Kein Urteil eines Dritten über den Wert eines Lebens”

Gegen dieses Urteil legten dann sowohl der Kläger und als auch der beklagte Arzt vor dem Bundesgerichtshof Revision ein. Der Anwalt des Arztes argumentierte, ob Leben lebenswert sei,
könne kein Mediziner entscheiden. Grobe Behandlungsfehler habe es nicht
gegeben. Zudem habe eine Besucherin des Patienten gesagt, sie habe sich
mit ihm ohne Worte verständigen können. Die Anklageseite wiederum betonte, medizinische Standards könnten nur eingehalten werden, wenn Ärzte für Verstöße haftbar gemacht werden. Das müsse auch für die Behandlung am Lebensende gelten.

Dieser Sichtweise wollte sich der Sechste Zivilsenat allerdings nicht anschließen. Die Vorsitzende Richterin Vera von Pentz sagte, es könne dahinstehen, ob der Arzt Pflichten verletzt habe. “Das Urteil über den Wert eines Lebens steht keinem Dritten zu.” Es fehle deshalb schon an einem immateriellen Schaden, der Schmerzensgeld-Ansprüche auslösen könnte.

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