/Artenschutz: Der große Feldversuch

Artenschutz: Der große Feldversuch

Ein Rebhuhn. Im Zickzack huscht es über den Weg, aufgeschreckt vom
Motorengeräusch des Jeeps. Einige Meter rennt es am Feldrand entlang, dann verschwindet es in
den Hecken. Georgina Bray stoppt ihren Wagen und lässt ihn im Leerlauf brummen. “Rebhühner
sehen wir nicht oft”, sagt die Zoologin, “ihr Bestand ist in Großbritannien stark
zurückgegangen.” Doch seit Kurzem leben wieder sieben Brutpaare auf dem Gelände der Hope Farm
im Südosten Englands. Und nisten vielleicht in einer dieser Hecken, die meterhoch die Felder
säumen.

In der Europäischen Union sind die Bestände typischer Agrarvogelarten wie Feldlerche, Rebhuhn
und Kiebitz zwischen 1980 und 2015 um 56 Prozent zurückgegangen. Auch die Zahl und Masse der
Insekten sinkt in erschreckendem Ausmaß. Die Ursache für diesen Verlust an biologischer
Vielfalt: vor allem die intensive Landwirtschaft.

Warum sie den Vögeln und Insekten zusetzt, das haben die deutschen Wissenschaftsakademien im
vergangenen Oktober aufgelistet, unter dem Titel “Artenrückgang in der Agrarlandschaft”. Die
Bauern setzen auf ausgedehnte Flächen, die sie mit großen Maschinen bearbeiten können. Sie
nutzen nur wenige ertragreiche Kulturen und düngen intensiv. Sie wechseln seltener die
angebauten Feldfrüchte. Sie setzen oft schon vorbeugend Pflanzenschutzmittel und
Insektenvernichter ein. Die Landschaften sind aufgeräumt, Mauern und Hecken beseitigt,
Steinhaufen entfernt. Es gibt kaum noch Randstreifen und Brachen. Das prägt ganze Gegenden,
wird doch in Deutschland etwa die Hälfte der Landesfläche landwirtschaftlich genutzt, im
Vereinigten Königreich sind es rund 70 Prozent.

Ist ein Ausweg nur im biologischen Landbau zu finden? Oder lassen sich auch konventionelle
Landwirtschaft und Artenschutz versöhnen – und was kostet das? In Deutschland soll das ein
Großexperiment auf dem Acker herausfinden. In England läuft bereits seit fast 20 Jahren ein
ähnlicher Feldversuch.

Die Hope Farm in Cambridgeshire wirkt zunächst wie viele andere Landwirtschaftsbetriebe. Auf
den zweiten Blick zeigen sich leicht verwilderte Ackerflächen. Auch war beim Besuch im
vergangenen Frühsommer nicht recht auszumachen, wo der Randbewuchs aufhört und die
Kulturpflanzen beginnen.

Jahrzehntelang war die Farm ein ganz normaler Bauernhof mit Rinderhaltung und Ackerbau. Dann
erwarb die Naturschutzorganisation Royal Society for the Protection of Birds (RSPB) im Jahr
2000 den Betrieb. Die größte Vogelschutz-Initiative Europas – mehr als eine Million Mitglieder
gehören ihr an – verfolgte mit dem Kauf eine kühne Idee: Es musste doch möglich sein, eine
Farm ertragreich zu führen, auch mit Spritz- und Düngemitteleinsatz, und trotzdem den
Lebensraum von Wildtieren zu sichern. Richard Gregory, RSPB-Forschungsleiter für Artenschutz,
formulierte das so: “den Kuchen essen und ihn behalten”.

Inzwischen lassen sich die Erfolge beziffern. Obwohl die Getreide- und Rapsfelder auf den 181
Hektar der Hope Farm weiterhin von konventionellen Landwirten bestellt werden, hat die
Artenvielfalt auf den Feldern des Betriebs zugenommen, und zwar ganz erheblich. Im Jahr 2000
gab es gerade noch zehn Feldvogelarten auf dem Gelände. Bis zum Sommer 2017 sind sechs Arten
hinzugekommen. Die Zahl der Nistplätze ist von 117 auf 271 gestiegen. Auch mit den
Schmetterlingen geht es – entgegen dem landesweiten Trend – bergauf.

Hits: 12